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Bi proud! Zum heutigen Tag der Bisexualität

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Bi-Flagge

Heute, am 23. September, ist der weltweite Bi Visibility Day, der Tag zur Sichtbarmachung von Bisexualität.

Bisexuelle Menschen sind oft unsichtbar, weil sie abseits der Zuordnungen Homo oder Hetero leben. Sie kämpfen zudem meist auf zweierlei Feldern gegen Diskriminierung an: in der Queer Community einerseits und in der heterozentristischen Alltagswelt andererseits. Trotz ihrer Queerness werden sie in 'der Szene' oft nicht ernstgenommen und sind hier wie dort mit Vorurteilen konfrontiert, die als Biphobie bezeichnet werden können.

Für die einen nicht homosexuell genug, für die anderen nicht heterosexuell genug... Ein doppeltes Kreuz also, von dem auch Bernd (1), ein 31-jähriger bisexueller Jurist aus Stuttgart, ein Liedchen singen kann. Bernd ist evangelisch. Ich habe ihn bei einem queeren Gottesdienst kennengelernt. In seiner Heimatgemeinde ist er nicht 'geoutet'– alle lesen ihn als hetero, denn er kommt schließlich immer mit seiner festen Freundin zum Gottesdienst und zu Gemeindeveranstaltungen. Dass er früher auch mit Männern zusammen war und sich das auch weiterhin vorstellen kann, sollte die Beziehung mit seiner Freundin einst aus sein, traut er sich oft nicht zu erzählen. Menschen reagieren verstört oder sagen verletzende Dinge.

Oft hört er den Vorwurf "Du kannst Dich ja nur nicht entscheiden!" Auch ignorante Sätze wie "Das ist nur eine Phase! Früher oder später entscheidest du dich für hetero oder homo" zeigen, dass einer_m die bisexuelle Identität oft abgesprochen wird. Dabei ist für die meisten bisexuellen Menschen ihre Orientierung keineswegs uneindeutig oder unentschieden, sondern sehr klar: Sie verlieben sich potenziell eben in Männer* und Frauen* und teilen ihre Sexualität auch mit beiden bzw. allen Geschlechtern.

Bi-Symbol: Zwei nach außen offene Halbmonde
Bisexuell meint zwar von der Wortherkunft 'beide' Geschlechter, wobei heute vielfach 'alle' Geschlechter gemeint sind, denn schließlich gibt es mehr als zwei. Um genau das zu unterstreichen, drücken manche ihre sexuelle Orientierung lieber als pansexuell (pan = griech. 'alles', 'ganz') aus – oder auch einfach: nicht-monosexuell. Andere behalten den Begriff bisexuell als politische, weil historisch gewachsene Bezeichnung aufrecht und deuten ihn etwa um in ein anderes Zweierlei: "Ich liebe mein Geschlecht und alle anderen", erklärt Bernd seine sexuelle Orientierung.

Ob bisexuelle Menschen generell offener mit Trans*- und Inter*personen als Sexual- und Liebespartner_innen umgehen, kann so genau nicht festgestellt werden, aber es liegt m. E. nahe, weil bisexuelle Menschen sich nicht auf das Begehren eines bestimmten Geschlechtes festgelegt haben und dadurch flexibler mit Körpern und Geschlechtsidentitäten sind. "Ich verliebe mich immer in den Menschen, nicht in das Geschlecht", bestätigt auch Bernd.

Ein Klischee, dem sich Bisexuelle oft konfrontiert sehen, ist das der Unersättlichkeit: Menschen glauben oft, bisexuell zu sein bedeutet, sich nie an eine_n Partner_in binden zu können. Das ist schlicht falsch. Der Wille zur Monogamie oder 'Treue' oder der Wunsch nach einer offenen oder polyamoren Beziehung hängt nicht von der sexuellen Orientierung eines Menschen ab. Bisexuell bedeutet nicht , mehr Seitensprünge zu haben als Menschen, die sich als hetero oder homo definieren. "Viele assoziieren Bisexualität fälschlicherweise mit Gruppensex oder ständigem Fremdgehen", erzählt Bernd, der monogam lebt.

Lebt eine bisexuelle Person in einer monogamen Beziehung mit einer Person des anderen Geschlechts, wird/muss sie sich nicht als heterosexuell bezeichnen, auch wenn die letzte Liebesbeziehung oder sexuelle Begegnung mit einer Person des gleichen Geschlechts bereits Jahre zurückliegt – so wie bei Bernd. Natürlich gibt es aber auch Menschen, die sich erst als bisexuell bezeichnen und sich dann später eher in den Zuordnungen homo- oder heterosexuell verorten – und vice versa. Sexuelle Orientierung ist eben nichts Statisches, und jede_r entscheidet am besten immer selbst, welches Label gerade passt.

Genderaspekte spielen auch im gesellschaftlichen Umgang mit Bisexualiät eine große Rolle. Bei Männern* wie Bernd stellt die Bisexualität einen Bruch des Heterosexuellen dar und damit einen gesellschaftlich zugeteilten Mangel an Männlichkeit an sich. Männer* verheimlichen deshalb vielleicht öfter ihre Bisexualität.

"Viele meiner Hetero-Freunde haben sich von mir distanziert. Hetero-Männer tun sich schwer mit bisexuellen männlichen Freunden. Die Uneindeutigkeit macht ihnen Angst. Ich bin weder der schwule Kumpel noch der, mit dem man heteromachistisch über Frauen reden kann. Ich glaube, bisexuelle Frauen haben es da bei ihren Geschlechtsgenossinnen leichter", findet Bernd.

Bisexuelle Frauen* wiederum erfahren zwar vielleicht seltener Sanktionierungen im Mainstream oder Abweisungen durch ihre Freund_innen, wenn sie sich outen, jedoch wird ihre Sexualität vielfach missverstanden als Dienst für den männlichen Lustgewinn. Die hetero-männliche* Phantasie des 'flotten Dreiers' bedient dann wieder das Vorurteil des Gruppensex und verfestigt zudem heterosexistische Vereinnahmungen von weiblicher* Sexualität.

Neben den Hürden, die es als bisexuelle Person zu überwinden gilt, gibt es auch die vielen Vorteile: Bisexuelle Menschen finden potenziell sowohl in 'der' Homo-Szene Partner_innen als auch in der Hetero-Mainstream-Welt. "Bisexuelle haben doppelt so viele Chancen auf ein Date wie Hetero- oder Homosexuelle", bemerkt Bernd schmunzelnd.

Bernd würde gerne viel offensiver mit seiner Bisexualität umgehen. Gerade auch im Kontext von Gemeinde und Gottesdienst findet er das Thema viel zu wenig berücksichtigt, ja: völlig an den Rand gedrängt. Er ist der Auffassung, dass im kirchlichen Bereich generell eine Person, die sich als definitiv schwul oder lesbisch bezeichnet, mehr Anerkennung findet als eine bisexuelle – abgesehen von Heterosexuellen. Der heutige Bi Pride Day könnte als Anlass genommen werden, um die Unsichtbarkeit und Ausgrenzung bisexueller Menschen zu thematisieren.

 

1 Name geändert.


Behinderung als Thema von Queer

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Inklusive Toilettenschilder; Foto: Katharina Payk

Queer ist mehr als sexuelle Orientierung oder Geschlecht. Queer als eine subversive Aktion stellt sich gegen Geschlechter-, Begehrens- und Körpernormierungen. Auch Ableness – deutsch etwa: die Orientierung an sog. Fähigkeiten – und das gesellschaftliche Konstrukt von Dis_ability – deutsch etwa: (Nicht_)Behinderung – werden im Queer-Konzept diskutiert und dekonstruiert.

Neben der Berücksichtigung von verschiedenen Strukturkategorien wie z. B. Geschlecht, race und Klasse ist es ebenso wichtig, im queeren Diskurs die Kategorie Dis_ability miteinzubeziehen. Menschen mit Behinderungen werden tagtäglich exkludiert, nicht mitgemeint und mitbedacht. Gerade das Thema Beziehungen und Sexualität von behinderten Menschen ist durch eine paternalistische Herangehensweise und eine Sicht bestimmt, die es beispielsweise nur Menschen mit der Norm entsprechenden Körpern zugesteht, Lust zu leben – ganz zu schweigen von Menschen mit sog. geistiger Behinderung.

Ich finde, es wird Zeit, im Kreuz-und-Queer-Blog darüber zu schreiben – auch und gerade, weil es ein zutiefst christliches Thema ist, der Umgang mit dem nicht der Norm Entsprechenden, mit dem sogenannten Schwachen, was gerade auch durch Jesus nicht als solches bestätigt wird. Und auch, weil es ein zutiefst christliches Anliegen ist, der Marginalisierung von Menschen, die in ihrer körperlichen oder sog. geistigen Verfassung oder in ihrem Gesundheitszustand nicht dem – übrigens nur vermeintlich nichtbehinderten, vermeintlich gesunden – Mainstream entsprechen, entgegenzutreten.

Eine Verschmelzung der Gender Studies, Dis_ability Studies und der Queer Studies – alle angewandte Wissenschaften – stellen die Queer Dis_ability Studies dar. Sie diskutieren u. a. die Gemeinsamkeiten und Verwobenheiten von Behinderung und LGBTI[1]-Erfahrungen. Beiden gemein ist, dass sie in der Gesellschaft als "fehlerhaft", "anders", "merkwürdig" markiert und als solche an den Rand gedrängt sind. In das grundsätzlich durchlässige Queer-Konzept lässt sich Dis_ability nicht nur gut einbringen, sondern es gehört auch von Anbeginn dazu, weil Queer gegen Normierungen und (Fremd-)Zuschreibungen aufbegehrt. Queer stellt sich zudem gegen dichotome Polarisierungen, also die Auffassung, als gäbe es nur heterosexuell oder homosexuell, Mann oder Frau und behindert oder nichtbehindert – und nichts dazwischen. Queer eröffnet die Möglichkeit und gibt die Wahrscheinlichkeit zu bedenken, dass wir alle (potenziell) alles sind oder sein können oder es irgendwann in unserem Leben einmal sein werden; dass wir Anteile von allem in uns haben und nur durch gesellschaftliche Festschreibungen als das eine oder das andere gelesen – und damit gemacht – werden.

Genau wie beispielsweise "schwul" oder "Frau" mit ganz bestimmten (Rollen-)Bildern konnotiert sind, sind auch behinderte Menschen durch vermeintliche Merkmale markiert. Dazu gehören gemeinhin z. B. Hilfsbedürftigkeit, Schwäche und Asexualität.

Behinderung wird in den Dis_ability Studies als soziale, nicht medizinische Kategorie definiert. Die Dis_ability Studies weisen darauf hin, dass erst in einer Gesellschaft, die für Nichtbehinderte gestaltet ist, eine Behinderung – im Sinne von behindert werden, statt behindert sein – entsteht und ein nichtbehinderter Mensch sich auch erst im Gegenüber, d. h. durch die Markierung anderer als behindert, als ein solcher definiert. Ähnlich wie dem Denkmodell von Geschlecht in den Gender Studies wird also Behinderung über gesellschaftliche Diskurse hergestellt, "Doing Dis_ability", wie Robert McRuer, der die sog. Crip Theory[2] etabliert hat, es treffend ausdrückt.

Sexualität wird Menschen mit Behinderung meistens abgesprochen, selbstbestimmte Sexualität erst recht. Das reicht von der Vorstellung, behinderte Körper seien nicht sexy bis hin zu Reproduktionskontrollen  oder dem Nicht-Bereitstellen bzw. Erschweren von Sexualassistenz. Sexualität ist daher für viele behinderte Menschen der wundeste Punkt oder zumindest ein hart zu erkämpfendes bzw. erkämpftes Feld ihrer Selbstbestimmung. Auch hier gibt es – wenn auch nicht eins zu eins – Parallelen zu LGBTI-Biographien. Die Teilhabe an der Gesellschaft wird queeren Sexualitäten erschwert oder verwehrt. Der Körper, der in Begehren und Schönheit nicht dem Mainstream entspricht, wird von sexueller Selbstbestimmung entkoppelt. Wer "Makel" hat, darf Sexualität – wenn überhaupt – nur unter ganz bestimmten Bedingungen genießen. Persönliche Ansprüche, Reproduktion, freie Entscheidung werden Menschen mit Behinderungen allzu oft abgesprochen. Die gesellschaftliche Ausgrenzung wird noch spürbarer, wenn jemand beispielsweise behindert ist/wird und lesbisch, schwul oder bisexuell lebt. Auffallend in unserer Gesellschaft ist, dass sowohl "schwul" als auch "behindert" von vielen Menschen als Schimpfwörter verwendet werden – also, um etwas oder jemanden im Wert zu degradieren.

Gerade der Umgang mit Sprache ist im Bereich Geschlecht wie auch im Bereich Dis_ability ein sensibler Faktor. Die ableistischen und behindertenfeindlichen Sprichwörter und Phrasen kennen alle ("Das sieht doch ein Blinder mit dem Krückstock"; "Sag mal, bist du schwerhörig oder was?" etc.). Transportiert wird zudem auch sprachlich eine Passivität von behinderten Menschen. "Sie sitzt im Rollstuhl" hört sich so an, als würde sich die betreffende Person null (fort-)bewegen. Zu oft wird zudem über Betreuung von behinderten Menschen gesprochen, obwohl es zuallermeist um Assistenz geht. Und wenn öffentliche wie private Gebäude den körperlichen wie psychischen Bedingungen möglichst aller Menschen angepasst wären, fiele sogar in vielen Fällen der Bedarf nach Assistenz weg.

Betreffend Gemeinde- und Kirchenräume sollte nicht erst darauf gewartet werden, dass eine_r nach Barrierefreiheit fragt oder sie fordert, sondern dass die räumlichen Bedingungen von vornherein so gestaltet sind, dass Menschen mit unterschiedlichen physischen und psychischen Bedingungen und Einschränkungen per se willkommen sind (Aufzüge, Induktionsschleifen, Gebärdendolmetsch, Ruheräume und vieles mehr). Auch in Predigten sollte darauf geachtet werden, dass nicht ein antiquiertes Bild vom hilfsbedürftigen Behinderten gezeichnet wird, der_die ständig nur auf die Unterstützung Nichtbehinderter angewiesen ist – und am Ende noch dankbar dafür sein soll.

Viel schöner und hilfreicher ist es, wenn Theolog_innen darauf hinweisen, wie fragil und beweglich Körper und Psyche aller Menschen sind, wie sehr die Themen Sexualität, Geschlecht, Körper/Leib alle Menschen betreffen und wie wenig sinnvoll es daher ist, von "dem Andersartigen" zu sprechen oder es immer im dichotomen Gegensatz zu "Meinem" zu setzen.

Offensichtlich ist diese Willkommens- und Inklusionskultur nicht immer gegeben. Oft treffe ich gerade bei expliziten Queer-Gottesdiensten Menschen mit Behinderungen – u. a. weil sie sich dort besser aufgehoben fühlen. Das ist einerseits schön, gibt aber andererseits auch zu denken.

 

Zum Weiterlesen

McRuer, Robert: Crip Theory. Cultural Signs of Queerness and Disability, New York 2006.

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[1] Lesbian, Gay, Bisexual, Trans*, Inter*

[2] Crip, deutsch: "Krüppel". Der eigentlich abwertende Begriff wird wie bei der Queer Theory von Betroffenen selbst angeeignet und als eine positive Selbstbezeichnung umgedeutet.

Ein bisschen "Verschwulung" wäre hier durchaus angebracht!

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Aus einer Konservendose mit der Aufschrift "Hass" läuft eine schwarze Flüssigkeit.

Foto: Getty Images/fStop/Malte Mueller

Seit gestern ist es im Handel erhältlich: das neue Buch des demagogischen Redners und Autors Akif Pirinçci. Es heißt "Die große Verschwulung. Wenn aus Männern Frauen werden und aus Frauen keine Männer". Neben den massiven Ängsten, die der Autor offensichtlich hat und die bereits im Titel anklingen, strotzt es vor Hass.

Mit lieben Katzenkrimiromanen war er einst berühmt geworden. Das ist lange her. Seit Monaten und Jahren macht er mit Texten und Reden, die an rechtem, rassistischen, frauenfeindlichem und homo-/transphobem Inhalt kaum zu überbieten sind, Schlagzeilen. Diese Menschenverachtung blieb bislang unbestraft, geduldet – ja auch: gefeiert. Und nun machte er am Montag einen KZ-Vergleich.

Gestern schon berichtete evangelisch.de mehrfach über die Hassrede, die Akif Pirinçci beim Pegida-Marsch am vergangenen Montag in Dresden gehalten hat. Darin hat der ohnehin seit Jahren rechtspopulistisch und rassistisch agierende Autor das Fass zum Überlaufen gebracht. Zwar sagte Pirinçci nicht – wie erst durch viele Medien kolportiert –, dass KZs eine Möglichkeit wären, sich Asylsuchender zu entledigen. Aber er stellte – immer noch rassistisch genug – sich selbst und Gleichgesinnte auf einen Opferstatus, wie Jüd_innen, Homosexuelle, Behinderte und alle anderen, die in KZs umgebracht wurden. So auf die Art: Man dürfe in Deutschland ja nichts mehr sagen, da würde man gleich bestraft und – wenn es sie noch gäbe – in KZs verfrachtet. Wörtlich sagte er: "Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er (sic!) gefälligst nicht pariert. Es gäbe natürlich andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb." (nachzuhören auf Youtube)

Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt nun gegen Pirinçci wegen des "Verdachts auf Volksverhetzung". Endlich. Brauchte es wirklich diese Rede oder besser diesen "KZ-Satz" (,der auch noch so missverstanden wurde, dass er selbst sich wohl ins Fäustchen lachte), um Pirinçcis Menschenverachtung endlich zu verurteilen? Die ganze Rede über bediente Pirinçci sich einer rassistischen und nationalsozialistischen Sprache, um Pegida-Anhänger_innen und andere Nationalist_innen gegen Werte wie Toleranz und Akzeptanz zu verteidigen.

Sein letztes hetzerisches Buch "Deutschland von Sinnen. Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer" war 2014 ein Bestseller in Deutschland. Man könnte ja sagen, es ist dumm und wurscht, was einer, der offensichtlich selbst von Sinnen ist, in ein Buch kritzelt. So auf die Art: Stell Dir vor, Pirinçci schreibt ein Buch und keine_r kauft es. Aber so ist es ja nicht. Im Gegenteil, es kaufen Millionen von Menschen seine Bücher. Auch auf "Die große Verschwulung" stürzen sich bereits etliche Käufer_innen. Jetzt gerade (22.10.15, 15:00 h) rangiert das Pamphlet auf Platz 37 der beliebtesten Bücher auf Amazon Deutschland. Eine Facebook-Freundin von mir kommentierte das gestern Abend auf ihrer Seite mit den Worten: "Gute Nacht, Deutschland. Er hatte Recht: Du musst von Sinnen sein!"

Man fragt sich tatsächlich, was passiert ist, dass Pirinçci zu dem menschenverachtenden Menschen geworden ist. Schließlich gab es eine Zeit, in der er sowohl geschäftliche als auch persönliche Kontakte mit homosexuellen Menschen pflegte. Dass homosexuelle Menschen überhaupt Menschen sind, davon ist allerdings auch in seinem neuesten Buch, das es seit gestern im Verlag Manuscriptum zu kaufen gibt, nichts zu lesen. Im Gegenteil zieht Pirinçci darin in gewohnt primitiver Fäkalsprache über homosexuelle und trans* Menschen her, ganz zu schweigen von seinen weiteren Hassobjekten Frauen* und Muslim_innen. Was er von LGBT-Rechten hält, wird u. a. in diesem Zitat deutlich:

"Die trotzige und marktschreierische Vergottung der abseitigen Sexualität dient nur vordergründig dem Toleranzdenken. Vielmehr sollen hierdurch sämtliche Normen in Frage und die für jede hohe Zivilisation notwendigen Werte auf den Kopf gestellt werden. Deutschland soll zu einem einzigen Kuriositätenkabinett degenerieren."

Mit Trans* scheint er sich überdies besonders gut auszukennen (*ironisch*), denn dazu schreibt er sehr präzise: "Es gibt Abnormitäten unter den zwei Geschlechtern. Es handelt sich dabei allerdings ausnahmslos um geschlechtliche Defizite. Die Antwort auf die Frage, ob man dabei von einer Behinderung sprechen kann, hängt davon ab, ob die Betroffenen hierdurch einem Leidensdruck ausgesetzt sind."

Und weiter: "Wenn ein Mann sich einer Geschlechtsumwandlung unterzieht, verwandelt er sich deswegen nicht in eine Frau, sondern in einen verstümmelten Mann, dessen Genitalbereich chirurgisch so lala zur Scheide und Vagina modelliert wird, ohne jemals deren eigentliche Funktion ausüben zu können."[1]

Wollen wir wirklich mehr lesen? Danke. Nein.

Mir fiel vor allem auch das krasse Titelbild des Buchs ins Auge. Abgebildet ist der Heilige Sebastian, der für viele orthodoxe, katholische, aber auch evangelische Christ_innen eine Schutzfunktion hat. Er wird angerufen bzw. er steht für den Schutz vor besonders schlimmen 'ekelhaften' Krankheiten wie der Pest, welche sich nicht nur in unsrem Wortschatz als besonders verabscheuungswürdig erweist: jemanden oder etwas wie die Pest hassen. Will sich Pirinçci mit Hilfe des Heiligen Sebastian die Homos – in seinen Augen die Pest – vom Leib halten? Oder ist es doch der Heilige Sebastian, auf Pirinçcis Buchcover nämlich in stereotyper schwuler Manier dargestellt, der ALS Schwuler 'Krankes' bekämpft und das Gute verteidigt?! Na ja, ich danke Pirinçci auf jeden Fall für dieses flexible Interpretationsspiel. Vielleicht hilft ihm ja auch der Heilige Sebastian oder irgendein anderer Heiliger, gegen all seine Ängste anzukämpfen, wie die beispielsweise dass alle Männer* zu Frauen* werden, aber die Frauen* nicht zu Männern* (siehe Buchtitel). Weil dann wäre ja alles wieder in Ordnung.

 

[1] Die Zitate aus dem Buch sind teilweise den Ankündigungen auf Pirinçcis Facebook-Seite und teilweise dem Artikel "Die 16 dümmsten und widerlichsten Zitate aus 'Die große Verschwulung'" von www.queer.de entnommen.

Duftmarken im Rat der EKD setzen

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Michael Diener, Praeses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, ehrenamtlicher Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz, berufenes Mitglied der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Foto: epd-bild/Norbert Neetz

Michael Diener ist Ratsmitglied der EKD, Praeses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und ehrenamtlicher Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz.

Die EKD hat am 10. November 2015 bei ihrer 12. Synode in Bremen die Mitglieder des Rates der EKD gewählt. Unter den 15 neuen (und alten) Mitgliedern ist Michael Diener, ein Theologe aus dem evangelikalen Spektrum. Welches Gewicht bekommen damit evangelikale Stimmen gegen Homosexualität?

Michael Diener ist Mitglied im Vorstand von ProChrist, einem Missionierungsfestival mit evangelikaler Ausprägung. Den Vorsitz des Vereins ProChrist e.V. hat der Homoheilungsbefürworter und "Ex-Gay"-bewegte Roland Werner vor. Bei ProChrist kommen regelmäßig homophobe Redner_innen zu Wort.

Seit 2012 ist Michael Diener zudem Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz, ein evangelikaler Zusammenschluss, der sich konservativ-theologisch und (weitestgehend) ablehnend gegenüber homosexuellen Menschen äußert. Seit 2009 ist Diener Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverband, ein pietistischer Dachverband verschiedener evangelischer (Bildungs-)Einrichtungen in Deutschland. Im Präsesbericht 2014, der sich eigens dem Thema Homosexualität widmet, ist zu lesen, dass die Gnadauer Homosexualität zusammen mit Habgier und Bosheit als Sünden, die den Zorn Gottes auf sich ziehen, deuten.

Auf diversen konservativ-evangelischen Plattformen wird Diener für seine Haltung zur Homosexualität bejubelt, wenn er auch manch einem *Fundamentalisten* nicht weit genug geht und als Verräter gilt, weil er sich immerhin Gedanken darüber mache, wie man "homosexuell Lebende" in Gemeinden "trotzdem" ein Bleiberecht einräumen könnte. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit, in der wir leben, mag dieser Sachverhalt nur noch zum Kopfschütteln einladen: Willkommen im vorletzten Jahrhundert!

Auf Michael Dieners Facebook-Seite postete zwei Tage nach der Wahl ein Fan eine Lobeshymne auf dessen Politik und Theologie. Die evangelische Kirche in Deutschland habe mit der Wahl Dieners in den Rat zudem das Signal gesetzt, dass der Pietismus an vorderster Stelle zum Evangelischen dazugehöre. In den Kirchenleitungen vertraue man ihm – das habe das Ergebnis der Wahl unterstrichen.

Hat dieser Facebook-User recht? Haben evangelikale Stimmen, die z.B. Homosexualität heilen wollen und sie – genau wie Trans*sexualität* – im gleichen Atemzug mit Pädophilie/Pädosexualität eine sexuelle Störung nennen, durch Michael Diener im Rat ein Gewicht?

Auch wenn Diener als ein eher gemäßigter Vertreter der Evangelikalen gilt, lehnt er auf jeden Fall ein Zusammenwohnen im Pfarrhaus sowie Segnungen gleichgeschlechtlicher Partner_innenschaften ab. Homosexualität sei nicht zu bejahen – dies verbiete ihm der biblische Befund. Dabei beruft er sich auf ein überholtes Modell der Bibelinterpretation, das die – obgleich bekannt widersprüchlichen – Aussagen der biblischen Bücher wortwörtlich nimmt und weder historisch-kritisch analysiert noch narratologisch rahmt.

Ein weiterer Facebook-Freund Dieners klopfte ihm anerkennend auf die virtuelle Schulter: "Jetzt kann Michael Diener seine Duftmarken im Rat setzen".

Ich finde es ein bedenkliches Zeichen, eine Person, die so extrem ausgewiesen ist durch ranghohe Mitgliedschaften in evangelikalen, theologisch-konservativen Kreisen, in den Rat der EKD zu wählen.

Es liegt nun in den Händen des Rates und seines Vorsitzenden, dass die Duftmarken der Evangelikalen nicht zum Stallgeruch der EKD werden.

Akzeptierend und offen

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Foto: EHG Wien/Gerda Pfandl

Die Evangelische Hochschulgemeinde Wien (EHG) bekommt ein Prädikat verliehen, das sie als besonders offen für schwule, lesbische und bisexuelle Lebensweisen auszeichnet.

Der Zusammenschluss lesbischer, schwuler und bisexueller haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeiter_innen in den evangelischen Kirchen in Österreich, kurz: LSM, verleiht evangelischen Pfarrgemeinden und Einrichtungen in Österreich die Auszeichnung "akzeptierend und offen für alle Lebensformen", wenn diese sich für alternative Lebenskonzepte besonders engagieren.

Das bedeutet, dass sie generell unaufgeregt mit dem Thema Sexualität umgehen, dass sie verschiedene Lebensformen, auch und gerade nicht traditionelle, akzeptieren und Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierungen und Identität in der Gemeinde oder Einrichtung selbstverständlich Raum geben; dies gilt auch für Leitungspositionen. Für Pfarrgemeinden, die sich für das Prädikat bewerben, gilt außerdem, dass nur diese ausgezeichnet werden, die Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare anbieten.

Der Evangelischen Hochschulgemeinde Wien EHG wird das Prädikat "akzeptierend und offen für alle Lebensformen" am Dritten Advent, 13.12.2015 (19h, Kapelle Albert-Schweizer-Haus) im Gottesdienst verliehen. EHG-Pfarrerin Gerda Pfandl ist nicht nur Seelsorgebeauftragte für homo- und bisexuelle Menschen in Wien, sondern ihr ist auch immer daran gelegen, queere Themen ins Programm der Wiener Studierendengemeinde aufzunehmen.

So finden und fanden sich im Semesterprogramm der EHG Wien Veranstaltungen mit vielsagenden Titeln wie: "Ist doch eh egal! Sind doch alle mitgemeint! Sprache-Macht-Geschlecht & queere Alternativen" (Persson Baumgartinger) oder "Die Bekenntnisse der Godmother of Punk Nina Hagen" (Gerda Pfandl) sowie "Gender und Religion" (Barbara Heyse-Schaefer). Vorträge zum Lebenspartnerschaftsgesetz, zu queerer Theologie sowie Predigtreihen mit dem Titel "Liebe, Laster, Leidenschaft" und "Wer bin ich?" zeigen ebenfalls, dass Sexualitäten und Lebensformen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, positiv thematisiert werden. Zusammenarbeiten mit der HOSI Wien (Homosexuelle Initiative) und der HUG (Homosexuelle und Glaube) sind für Pfarrerin Pfandl genauso selbstverständlich wie das Vernetzen mit der Universität – regelmäßig lädt sie Wissenschaftler_innen zu Vorträgen ein. Beim "Pride Prayer", dem queeren Gottesdienst zur diesjährigen Wiener Regenbogenparade im Juni, hielt sie eine beeindruckende Predigt, in der sie ausdrücklich nicht nur Schwule, Lesben und Bisexuelle willkommen hieß, sondern auch andere Que(e)re wie BDSM-Praktizierende – eine Gruppe, die besonders im christlichen Bereich noch allzu sehr ignoriert und gemieden wird.

Das Prädikat ist nicht nur eine Art Ehrung – übrigens ja für etwas, das eigentlich in jeder Gemeinde selbstverständlich sein sollte –, sondern weist evangelische Orte auch als offen für queere Lebensweisen aus. Eine wichtige Information also für LGBTs und aufgeschlossene Heteros, also, alle, die sich mit ihrer kritischen Haltung oder "alternativen" Lebensform in einer Gemeinde oder evangelischen Einrichtung willkommen und angenommen fühlen wollen.

Dass die Voraussetzungen für die Verleihung des Prädikats – besonders in Zeiten des weltweiten Umbruchs in Bezug auf die Homoehe beispielsweise – eher dürftig anmuten, mag wohl dem Umstand geschuldet sein, dass es in Österreichs Kirchen mit der Akzeptanz von LGBT-Lebensweisen nicht gerade weit her ist. Noch immer sind Segnungen gleichgeschlechtlicher Partner_innenschaften in der evangelisch-lutherischen Kirche, welche die größere der beiden evangelischen Kirchen in Österreich darstellt, nicht vorgesehen. Es wird also höchste Zeit, dass sich auch auf institutionalisierten Ebenen etwas tut.

Die Angebote und der Einsatz der EHG Wien mit Pfarrerin Gerda Pfandl für LGBT-Lebensweisen sind daher umso mehr als besonders wertvoll und wichtig hervorzuheben und wertzuschätzen. Herzliche Gratulation und Glückwünsche!

Pinke Schafe an der Krippe

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Queere Krippe in der Buchhandlung Löwenherz Wien, Künstler: Jürgen M. Weisert, Foto: Katharina Payk

Weihnachten – das Fest der Familie!? In der späten Adventszeit wünschen viele Menschen sich gegenseitig bereits "frohe Weihnachten" und "schöne Festtage mit der Familie". Als ob das für alle Menschen so einfach wäre…

Es ist die Woche vor Weihnachten. In meinem Briefkasten liegt ein Werbekärtchen von meinem Lieblingsbiosupermarkt, der mir und meiner Familie schöne Festtage wünscht. Überall hört man bereits, wie sich Leute frohe Weihnachten wünschen, in gemeindlichen oder theologischen Kreisen gar "gesegnete" Weihnachten, meistens wird ein "im Kreise der Familie" dazu geschoben. Dabei entscheiden sich immer mehr Menschen, Weihnachten anders zu verbringen, zum Beispiel mit Freund_innen.

Ein besinnliches Fest im Kreise der Familie ist für viele Menschen nicht nur nicht denkbar (schön), sondern es ist für viele schlichtweg nicht möglich. Die Familie als Ort der Vertrautheit und Geborgenheit zu erleben – das ist vielen Menschen verwehrt. Viele lesbische, bisexuelle und schwule Menschen werden von ihren Herkunftsfamilien in ihrer sexuellen Identität nicht akzeptiert, sehr viele kennen zumindest das Gefühl dort nicht verstanden zu werden. Den Partner oder die Partnerin etwa an Weihnachten mitzubringen, wird oft entweder nicht geduldet oder es wird zu einem unangenehmen Erlebnis mit abwertenden Kommentaren oder Sticheleien. Besinnliche Zusammenkunft geht eben nur, wenn sich die Beteiligten mögen und tatsächlich miteinander feiern wollen.

An (Familien-)Festen wie Weihnachten treffen oft Menschen zusammen, die sich lange nicht gesehen haben. Etwa trifft man neben Eltern und Geschwistern auch seine Onkels, Tanten, Cousin_en. Wenn überhaupt kennen eine_n diese Verwandten oft vor allem von der Kindheit. Aber: Was wissen diese Menschen von meinem jetzigen Leben? Von dem, was mich heute berührt und was mich heute ausmacht? Was, wenn ich den (familiären) Konventionen nicht (mehr) entspreche, nicht entsprechen will? Kann ich dann trotzdem kommen? Trotzdem ich sein? (Wo) bin ich willkommen, wenn ich "anders" bin?

Das pinke Schaf in der Familie ist meistens – wenn auch nicht immer ausgegrenzt, so doch – markiert. Es steht für das Komische, Schräge, das Unangepasste – für eine Lebensweise, die den meisten Familienmitgliedern doch irgendwie unerschlossen bleibt. Vielleicht umgibt das pinke Schaf auch eine Art unkonventionelle Freiheit, auf die andere in der Familie gar ein wenig neidisch sind. Aber so ganz dazu gehört das pinke Schaf nicht. Auch im Kontext von Gemeinde und Gottesdienst gibt es Ausschlüsse, die gerade zu Weihnachten verletzen. Warum wird mir als schwuler Mann oder lesbische Frau ein Trausegen für meine Partner_innenschaft verwehrt, warum schaut X blöd, wenn ich mit meiner Regenbogenfamilie zum Gottesdienst komme, warum wäre es Pfarrer Y eigentlich lieber, ich würde als Trans*person nicht am Abendmahl teilnehmen, warum kann ich als polyamore Person nicht meine zwei Partnerschaften segnen lassen … Warum wird mir vieles, was Heterosexuellen, der Norm Entsprechenden offen steht, nicht zugestanden? Dabei ist doch gerade Weihnachten, die Geburt Jesu, das Fest, an dem es darum gehen sollte, alle Menschen willkommen zu heißen. Wenn nicht an der Krippe, wo sonst soll das Wunder passieren, dass alle Menschen einander annehmen wie sie sind.

Menschen unter dem queeren Regenbogen erleben sich oft als Outsider: als Freak, Außenseiter, an den Rand gedrängt, unstimmig mit sich oder der (konventionellen) Umwelt. Besonders schwerwiegend ist das oft vor ihrem Outing als lesbisch, schwul, bi*sexuell, trans*, inter*, polyamor, BDSM-praktizierend … Wenn man über seine Gefühle nicht reden kann, seine Identität verleugnen muss, dann führt das zur Isolation. Gerade junge Menschen, die noch dabei sind, ihre Identität herauszubilden und zu verstehen, verstecken ihre sexuelle Orientierung vor ihrer Familie aus Angst, verstoßen zu werden oder den Wünschen der Eltern nicht gerecht werden zu können. Familienfeiereien wie Weihnachten werden zur Tortur: Wann heiratest du endlich, warum bist du noch immer Single, wann schenkst du uns Enkelkinder? Diese Fragen verstärken bei vielen das Gefühl, dass sie ja "irgendwie nicht richtig" sind. Viele lesBischwule Menschen erleben selbst noch Jahrzente nach ihrem Coming Out, dass ihre Familie noch hofft, dass "sich das Blatt zum Guten wendet", die queere "Neigung" doch nur eine Phase ist, die vorübergeht. Wie soll man da fröhlich sein an Weihnachten?

Der Jesus, der aber in der Weihnacht geboren wird, ist der gleiche, der die Ausgestoßenen liebt und von den Menschen erwartet, dass man sie annimmt, und er ist der gleiche, der zu Ostern am Kreuz sterben wird. Er versteht die Menschen in ihrem Schmerz, den er selbst so gut kennt. Die Verlassenheit ist ihm bekannt, der Aufruf zur Solidarität und die Einladung zur Liebe zeichnen sein Leben. Er ist derjenige, den Gott sandte, um uns zu zeigen, dass Gott menschlich ist und genau durch das Menschsein Wunder – nämlich auch ganz menschengemachte – möglich sind. Es ist eine Botschaft an alle Misfits, dass sie dazugehören – je schräger und pinker desto mehr. Jesus hat sich besonders denen zugewandt, die ausgegrenzt und verachtet waren, mit denen "irgendetwas nicht stimmte". Das pinke Schaf gehört auch zur Weihnachtskrippe. Es passt sogar gut dazu.

Und für manche ist es eben tatsächlich nicht die Herkunftsfamilie, mit der sie Feste wie Weihnachten begehen wollen, sondern eine alternative Familie. Vielleicht - wie auf dem Bild oben etwas ironisch dargestellt - eine ganz queere noch dazu!

Queerer Jahresrückblick

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Foto: Katharina Payk

Das Jahr ist zu Ende. Es ist 365 Tage alt, und wir verabschieden es alle mit verschiedenen Gefühlen. Der heutige Blogbeitrag schaut zurück auf das erste (wenn auch nicht ganze) Jahr Kreuz-und-Queer-Blog und die Entwicklungen in der queeren Welt.

Im März startete der Blog "Kreuz und Queer"– damit hat die Redaktion evangelisch.de nicht nur ein deutliches Zeichen in Richtung Gleichberechtigung und Anerkennung von queeren Menschen gesetzt, sondern auch fünf Schreibenden die Möglichkeit gegeben, ihre Erfahrungen, Reflexionen, Analysen und Gedanken zum Thema Queer und Kirche bzw. Theologie und Glauben zu veröffentlichen und dadurch mit anderen zu teilen sowie den Leser_innen von evangelisch.de einiges aus der "queeren Welt" mitzuteilen. Die zahlreichen positiven Feedbacks auf unsere Beiträge, die bei der Redaktion oder auch bei uns Autor_innen selbst eingingen sowie als Kommentare gepostet wurden, zeigten und zeigen, wie bedeutsam der Blog mit seinen Texten für viele Menschen ist. Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*menschen etwa lesen aus, über und für ihre Lebenswelten. Nicht ausgegrenzt oder bestenfalls mit gemeint zu werden, sondern auch ganz explizit angesprochen zu werden, das ist in theologischen und kirchlichen Kreisen für LGBTIQs nicht selbstverständlich. Aber auch Menschen, die sich als heterosexuell definieren und_oder sich zuvor nicht viele Gedanken über queere Themen und Lebenswelten von LGBT gemacht haben, profitierten von den informativen und teilweise auch sehr unterschiedlich gewichteten Beiträgen im Kreuz-und-Queer-Blog.

Die Kontroversen, die manch ein Blogbeitrag von Kreuz und Queer auslöste, waren nicht weniger spannend und bereichernd, nicht zuletzt deshalb, weil genau das ja auch die Absicht ist: zum Diskutieren anregen, Positionen bilden und beziehen sowie dieselben auch das ein oder andere Mal zu prüfen und zu revidieren.

Die destruktiven Reaktionen, derer es auch einige gab, zeigten mir erst recht, wie wichtig es ist, dass Kirche sich öffentlich positioniert: gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und faule Kompromisse in Bezug auf Gleichstellung von LGBTIQs – gegen Hass und Hetze, und letztendlich für die Liebe und das Leben.

Wenn man auf das Jahr zurückblickt, so hat sich vieles in Bewegung gesetzt in Bezug auf LGBT. Es gab ein paar bedeutsame Überraschungen in der Politik, so zum Beispiel die Öffnung des Instituts Ehe für Schwule und Lesben in den USA oder in Irland. Auch die Änderungen der Adoptionsgesetze in Österreich lassen mich noch immer staunen: Schwule und Lesben dürfen ab morgen ganz offiziell ("fremde") Kinder adoptieren (aber übrigens immer noch nicht heiraten). Deutschland könnte es nachmachen, gibt jedoch wenig Hoffnung darauf: Der Widerstand der Union hat klar gezeigt, dass es wohl unter Merkel keine Gleichberechtigung für LGBT geben wird.

In "der" Kirche hat sich wenig bewegt. Geht bei römisch-katholischen Kirchen rein gar nichts vorwärts, haben immerhin weltweit ein paar evangelische Kirchen die Trauung für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet, darunter die evangelisch-lutherische Kirche in Norwegen. Und in Deutschland hat sich zum Ende des Jahres immerhin noch die Rheinische Landeskirche zuversichtlich gegenüber dem Plan, eine gleichwertige Trauung für Homosexuelle einzuführen, geäußert.

Traurig und nachdenklich stimmen die vielen Hetzkampagnen gegen LGBTs, die gerade auch in Deutschland in Form von Demo-Bewegungen mehr und mehr Zuspruch finden sowie die hohe Rate der Gewalt gegen Queers, vor allem Trans*personen.

Wir sind noch lange nicht am Ziel. Auch 2016 wird ein Jahr werden, in dem politische, aktivistische, aufklärerische Arbeit nötig ist und in dem wir immer wieder daran werden erinnern müssen, dass christliche Werte wie Akzeptanz, Toleranz, Nächstenliebe und Lebensbejahung nicht exklusiv sind, sondern für alle Menschen gelten.

Ich wünsche allen Leser_innen und Kolleg_innen ein gutes und gesegnetes Ankommen im neuen Jahr. Und da ein Neubeginn mit Abschied verknüpft ist, wünsche ich ebenfalls ein stimmiges Verabschieden des alten Jahres und allem, was dazu gehört (hat). Danke für ein schönes und spannendes Jahr 2015 mit dem Kreuz-und-Queer-Blog!

Männlich und weiblich geschaffen

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Foto: Sébastien Pelletier

Unsere Gesellschaft mag Dichotomien. Als solche gelesene geschlechtliche Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten werden oft sanktioniert. Theologisch kann und muss man dagegen halten.

Ein Zeitungsartikel, gepostet von einer "Facebook-Freundin", macht mir wieder schlagartig deutlich: Das gesellschaftliche Diktat lautet: Wenn du schon anders bist, dann mach es wenigstens richtig. Der Zeitungsartikel berichtet über eine Frau, eine Unternehmerin, die durch ihre Transition "von Mann zu Frau" diverse Aufträge verloren hat und massiv unter den diskriminierenden Aussagen ihrer Geschäftspartner_innen, Freund_innen und der Behörden leidet. Sie musste Insolvenz anmelden.

Auf der Facebook-Pinnwand entspann sich eine Diskussion über das Passing, das der betroffenen Person nach Meinung der Poster_innen möglicherweise nicht gut genug geglückt ist. Passing meint das Vermögen einer Person, als zu dem Geschlecht zugehörig akzeptiert oder eingeordnet zu werden, mit dem sie sich identifiziert. Es gibt also bestimmte ideale Stereotype, die mir zu erfüllen aufoktroyiert werden, wenn ich zum Beispiel als Frau gelesen werden will. Wer die Schlüsselbilder nicht erfüllt, wird sanktioniert. Dabei gilt dies für Cismenschen[1] wie für Transmenschen, für Heterosexuelle wie Homosexuelle usw. Jedoch nimmt der Druck gerade für Transmenschen oft ein Ausmaß an, das weder möglich ist zu erfüllen noch dass es wünschenswert wäre, es zu erfüllen.

Die Kommentator_innen des Facebook-Posts, die meisten selbst trans*, berichten und beraten sich darüber, wie wichtig das "stimmige" Aussehen ist. Eine[2] erklärt, sie habe schon mal gutverdienenden Freund_innen vor dem Outing geraten, sie sollten – so hart es sei – das Geld für gewünschte körperliche Eingriffe ansparen und erst danach, in ein paar Jahren, die Transition beginnen. Denn nach einem Outing mit beginnenden ersten körperlichen Veränderungen gehe es vielen so, dass sie Aufträge und Jobs verlieren, wodurch die Wunsch-OPs noch weiter in die Zukunft rücken.

Das bedeutet konkret, dass Menschen von der Gesellschaft gezwungen werden, ihre eigentliche Rolle, ihre Identität, das, was sie – auch vor Gott – zum Menschen macht, (weitere) Jahre zu verleugnen und zu verheimlichen, obwohl sie sich längst im Klaren über ihre Identität sind.

Aber was stört so an Uneindeutigkeiten? Was macht es so unerträglich, wenn sich – ob temporär oder langfristig – im Aussehen oder der Identität eines Menschen keine klare Zuordnung ablesen lässt? Und auch: Warum lesen Menschen Uneindeutigkeiten, wo eigentlich jemand ganz klar "von Frau zu Mann" oder vice versa transitioniert (ist)? Warum glaubt mensch, in lesbischen Frauen männliche Züge und in schwulen Männern weibliche Züge zu sehen? Diese Fragen wurden bereits vielfach soziologisch, psychologisch und geschlechtertheoretisch untersucht und beleuchtet. Interessant hierbei ist es m. E. auch, der Frage nachzugehen, inwiefern es Unterschiede in der Diskriminierung von Frauen und Männern hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes gibt. Aus diversen Erzählungen, Workshops zum Thema und dem aufmerksamen Verfolgen von Trans*-Thematiken in den Medien erscheint es mir angemessen, auf die besondere Diskriminierung von trans* Frauen hinzuweisen. Sie sind nicht nur am häufigsten (von allen Geschlechtern) von (sexualisierter) Gewalt betroffen, sondern sind – wie Cisfrauen – mit einem Schönheitsideal konfrontiert, das zu erreichen unmöglich und gleichwohl nicht unbedingt erstrebenswert ist. Es geht also um die altbekannte Gender-Performance, und ich frage mich, warum es den meisten Menschen viel mehr um eine geradlinige Darstellung geschlechtlicher Attribute geht als darum, wie stimmig der Mensch mit sich selbst ist. Man nannte das einst Authentizität, bevor dieses Wort, gerade um Pseudo-Natürlichkeitszuschreibungen zu vermeiden, vor allem von Feminist_innen in Frage gestellt wurde.

Und nun komme ich zum theologischen Aspekt von "Schönheit" und ihrer Bewertung. Die Selbstliebe ist ein (An-)Gebot wie die Gottes- und die Nächstenliebe. Darauf wird in christlichen Kreisen viel zu selten hingewiesen. Durch Selbstliebe gelingt es mir, zu mir zu stehen, zu dem, was ich bin, sein will und sein werde. Ein Dasein entfernt von mir und meiner Identität ist ein Fern-Sein von Gott, ein Entzweit-Sein. (Manche nennen Letztes schließlich Sünde.)

Schönheit offenbart sich für mich in dem Bild, das eine Person abgibt, wenn sie ganz bei sich ist (was nicht ausschließt, dass man auch mal "neben sich" stehen darf). Es drückt vielleicht am besten die Gottebenbildlichkeit aus.

"Da schuf Gott (…) die Menschen, als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen", um Gen 1,27 mit der Bibel in gerechter Sprache zu zitieren. Geschaffen, also gewollt, sind alle Menschen. Und "männlich und weiblich". Fälschlicherweise wird an dieser Stelle oft "Mann und Frau"übersetzt. Ich finde das einen wichtigen Unterschied, denn die Adjektive männlich und weiblich lassen sich schließlich auf eine_n jede_n von uns anwenden. Nicht nur durch die Tiefenpsychologie ist gewiss, dass jeder Mensch weibliche wie männliche Anteile in sich vereint. Und ich persönlich wage nicht einmal zu definieren, was weibliche oder männliche sind.

Besonders interessant wird die Schriftlesung des Verses auch, wenn man das "und" betont. Hier steht nicht, dass die Menschen männlich ODER weiblich geschaffen wurden. Dies kann als besonderer Zuspruch Gottes an Menschen gelesen werden, die in ihrem Geschlecht uneindeutig sind oder sein wollen oder deren Geschlechtsempfinden von dem Geschlecht abweicht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Und es kann alle Menschen darin bestärken, (bewusst) aus der (Geschlechter-)Rolle zu fallen. Ich kann beides sein, männlich und weiblich. Und dabei stehen männlich und weiblich für die unzähligen anderen Facetten, die Geschlecht noch beinhalten kann. Man kann also Dichotomien auflösen oder Ambivalenzen aushalten. Beides bedeutet, Menschen in ihren Geschlechterrollen – ob cis oder trans – nicht vorzuschreiben, was und in welcher Form am besten zu ihnen passt. Und es bedeutet auch, die Gottebenbildlichkeit wirklich ernst zu nehmen. Passing würde dann überflüssig sein.

 

Veranstaltungsankündigung zum Thema:

Die Bibel hält noch mehr trans*-Inhalte (im Sinne des "darüber hinaus" usw.) bereit. Wer mehr zum Thema Trans* und Theologie/Kirche erfahren und diskutieren will, ist herzlich zum Vortrag "Trans* als Thema in der Theologie. Ein Blick auf Bibel, Kirche und Wissenschaft" an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. eingeladen. Der Vortrag findet am Dienstag, 19. Januar 2016 um 18h im Raum SH 0.101 im Seminarhaus Campus Westend der Universität Frankfurt statt. Referent_innen: Katharina Payk und Ines-Paul Baumann, mehr Infos hier: https://www.facebook.com/events/441282349394635/

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[1] Cis oder cis* bezeichnet Menschen, deren geschlechtliche Identität mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt (im Gegensatz zu Trans*). Am liebsten spreche ich von Menschen, ohne das trans* oder cis* zu betonen. Wenn ich aber auf die besondere Lage (z. B. in Bezug auf Diskriminierung) von trans* Menschen hinweisen will, komme ich nicht umhin, zu differenzieren. Ich finde den Begriff Cis* geeignet, um Normen und Normalitäten in Frage zu stellen und zu brechen, ja: sie ad absurdum zu führen. Cismenschen bekommen eine "sonderbare" Bezeichnung zugeordnet, die sowohl einer Erklärung bedarf als auch sie als "das Andere" markiert.

[2] Geschlecht ist für mich keine fixe Kategorie, die das ganze Leben Gültigkeit hat. Geschlecht ist fluide und wird durch Rollen(zuschreibungen) performt und verfestigt. Oft setze ich daher in meinen Texten hinter "Männer*" und "Frauen*" ein Sternchen, das die Durchlässigkeit und Uneindeutigkeit geschlechtlicher Kategorisierungen deutlich und ein Weiterdenken möglich macht. In diesem Blogbeitrag habe ich auf diese sog. Asteriske verzichtet. Ich bitte die Lesenden, mein Verständnis von Geschlecht bei Begriffen wie "weiblich" und "Mann" sowie bei jeglichen geschlechtsspezifischen Personalbezeichnungen (sie, er, Leserin usw.) mit zu denken.


"Wenn ihr fastet, schaut nicht finster drein..."

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Foto: Katharina Payk

Die Fastenzeit ist angebrochen. Fasten muss nicht nur bedeuten, auf Genuss zu verzichten, sondern lädt ein, mich genussvoll der Dinge zu entledigen, die mich daran hindern, bei mir selbst zu sein.

Früher dachte ich, Fasten sei nur was für Katholische. Dann kam die Zeit – etwa in meinen Zwanzigern – wo ich mich grundsätzlich schlecht gefühlt habe in der Zeit zwischen Fasching und Ostern. Denn ich habe das Fasten konsequent verweigert, während manche Freund_innen auf Zigaretten und Alkohol, Schokolade oder gar Sex verzichteten. Und ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht das Bedürfnis nach Verzicht hatte. Es kam mir heuchlerisch vor, wenn trotz atheistischer Einstellung gefastet wurde und ebenso wenn christlich definierte Bekannte sich besser fühlten, nur weil sie ca. 40 Tage sich selbst kasteiten. Und überhaupt: Warum muss ich mir etwas wegnehmen, wenn ich Gott nahe sein will? In meinem Leben gab es sowieso fast immer irgendwas, das ich als Mangel erlebte. Warum sollte ich da noch fasten?

Dieses Jahr ist es soweit: I'm in. Ich bin dabei. Ich mach' mit. Ich habe die Fastenzeit richtiggehend ersehnt. Das Leben voller gefühlter Unordnung in einem Wust aus ehrenamtlichem Engagement, vielen bedürftigen Freund_innen um mich herum, persönlichen Herausforderungen zwischen Abschied und Neubeginn und einem Jahr 2016, das erst nach Frische roch und bereits Ende Jänner im gleichen Sumpf wie 2015 zu ersticken drohte.

Das erste Mal Karneval in Köln lud dazu ein, auch das erste Mal zu fasten. Aber von was genau will ich fasten? Da war wieder diese Stimme, wie früher, die sich so gegen das "Leibfreuden Versagen"– traditionell verankert in der Geschichte des Christ_inseins – wehrte. Und dann sprach ich vorgestern den Satz aus: Aber wenn die Leibfreuden mir zu Leibleiden geworden sind – dann ist es höchst an der Zeit, sich um sich zu kümmern!

Das ist es, was die Fastenzeit heuer für mich bedeutet: Selbstfürsorge. Denn ohne bei mir selbst zu sein, kann ich nicht bei bzw. mit Gott sein. "Wenn der Sprit leer ist, fehlt die Verbindung zum Geiste Gottes", sagte am Sonntag ein jugendliches Gemeindemitglied. Verzicht bekommt ein neues Gesicht: Er bedeutet, das Zuviel weglassen und dem Zuwenig Platz geben. Ich höre einmal mir zu: Was fehlt mir, was wünsche ich mir. Ich richte mir einen Feierabend ein, ich lese mal keine Whatsapp-Nachrichten, dafür ein Buch, ich beantworte mal keine E-Mails, sondern schreibe Tagebuch, ich schreie nicht als erste Hier, wenn es beim queer-feministischen Kollektiv um Verteilung der Aufgaben geht, ich sage meiner Freundin, dass ich ihr gerne morgen zuhöre oder wann anders, aber nicht jetzt, ich lasse nicht alles stehen und liegen, weil mein Freund mich braucht oder weil eine Demo gegen Antifeminismus und Rassismus organisiert werden muss. Eigentlich ja alles wichtig – und elementarer Teil meines Lebens. Es geht dabei nicht einfach darum, weniger zu arbeiten. Es geht darum, auch auf diese Art von Arbeit zu verzichten, an der man Freude hat, die eine_n be_geistert. Aber auch die Herzblut-Arbeit kann einer_m die Luft nehmen. Mit dem Bedürfnis, etwas ändern zu wollen, kommt die Erkenntnis: Ich muss Verzicht üben. Dinge, die mir eigentlich guttun, mich beleben, können bei übermäßigem Verzehr ungesund werden. Zu viel queeres Engagement engt mich ein, es fesselt mich. Ebenso ist es mit den sogenannten Genussmitteln: Das Gemütliche, das Besondere geht verloren, wenn ich jeden Tag im Kaffeehaus sitze mit – um es Wienerisch auszudrücken – Wein und Tschick.

Was habe ich für Alternativen, wenn die Abende stets durchgeplant sind mit ehrenamtlichem Engagement, mit Dasein für andere und für den "guten Zweck"?

Ich fange im Kleinen an. Nehme nicht die U-Bahn, gehe einen Umweg zu mir nach Hause, spaziere am Donaukanal, nehme das derzeit frühlingshafte Treiben wahr, stelle mir vor, wie die Stadt in einem Monat erwachen wird aus ihrem Winterschlaf, wie die Cafés in meiner Straße draußen ihre Gastgärten eröffnen werden, was mir ein Lächeln entlockt und wiederum eine_n anderen dazu einlädt, mich anzulächeln. Meine Gebete sind länger und öfter – ich nehme mir die Zeit, die ich jetzt brauche. Einkehr und Achtsamkeit haben einerseits einen heilsamen Selbstzweck, bringen andererseits Erkenntnis und Gewahrwerden mit sich. Eine Freundin, die sich täglich mit ihrer Partnerin umgibt, sagte gestern: "Ich habe ihr gesagt, ich brauche zwischendrin ein paar Tage für mich. Das ist auch besser für den Erhalt unserer glücklichen Beziehung." Ein anderer Freund wiederum beschloss, diese Woche endlich eine Kontaktanzeige aufzugeben: "Ich habe keine Lust mehr, allein zu sein, ich trau' mich jetzt!" Ihm fehlt nicht nur eine Beziehung, sondern besonders die Berührung. Womit wir wieder beim Leiblichen wären: Auf den eigenen Körper hören, heißt für jede_n von uns etwas anderes derzeit. Mehr Schlaf, weniger Arbeit, weniger Alkohol, oder: endlich mal wieder ein Glasl Wein, weniger essen, mehr essen, mehr körperliche Zuwendung, weniger Party, mehr unter Leute gehen, mehr zur Ruhe kommen, weniger Selbstzerstörung, mehr Bewegung…

Die Liste ist endlos. Wichtig finde ich es, beim Entschluss zu fasten, immer zu prüfen, für wen ich es tue. Die Fastenzeit beispielsweise als Diät zu (be-)nutzen, könnte bedeuten, dem aufoktroyierten Schönheitsideal des flachen Bauchs, des dünnen Gesichts und kleinen Pos nachzueifern. Wie wäre es stattdessen, sich vorzunehmen, in der Fastenzeit die sogenannten Makel zu feiern?! Ich bin okay so, wie ich bin. Gott will mich so. Ich will mich so. Ich faste von den Selbstzweifeln, der ewigen Nörgelei an mir selbst. Ich bin schräg und que(e)r, ungemütlich, eckig, kantig, rund. Ich gehe heute mal vor die Türe, um mich der Welt zu präsentieren. Oder auch: Heute bleibe ich zu Hause, denn heute gehöre ich nur mir. Ich nehme mir die Zeit und alle Ressourcen, die ich habe und brauche, um Selbstfürsorge zu betreiben. Es ist wichtig, sich zu engagieren, ob für Refugees, LGBTIQ-Rechte oder andere Gleichbehandlungen von Marginalisierten. Dabei ist es aber immer eine gute Idee, die eigenen Bedürfnisse nicht aus dem Blick zu verlieren.

Selbstfürsorge bedeutet nicht, auf den Füßen anderer herumzutrampeln. Aber manchmal bedeutet es sehr wohl, andere vor den Kopf zu stoßen. Wenn diese gewohnt sind, dass man immer zur Stelle und belastbar ist.

Die Fastenzeit könnte also sein: eine Zeit, in der ich mich aufrichtig frage, was ich brauche. Sie muss nicht bedeuten, auf Genuss zu verzichten, sondern vielleicht eher, Genuss wieder herzustellen.

Halbe Schritte

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Foto: RCB/wiki commons/CCBY2.0

Vor einigen Tagen wurde öffentlich vermeldet, dass auch die Evangelische Kirche in der Pfalz einen Schritt auf Homosexuelle zugeht, die sich trauen lassen wollen. Eigentlich ist es aber nur ein halber Schritt. Denn auch in der Pfälzischen Landeskirche wird die Differenz statt die Egalität betont.

Ich klicke auf den Artikel zur "Anerkennung der Trauung gleichgeschlechtlicher Paare" auf der Nachrichtenseite der Evangelischen Kirche der Pfalz, dem Evangelischen Kirchenboten. Schön, dass die Pfälzer Landeskirche eine woanders vollzogene Trauung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in ihr Kirchenbuch einträgt – wie es bei gegengeschlechtlichen Trauungen üblich ist. Damit ist sie tatsächlich weiter als die meisten anderen Landeskirchen. Schade allerdings, dass sie trotz dieses vorwärtsgewandten Schrittes nicht selbst so weit geht, ebensolche 'Homo-Trauungen' auch in ihrer Kirche zu erlauben und anzubieten. Woran hängt's?

Links vom Artikel steht auf der gleichen Seite ein Kommentar: "Vor Gott sind alle Menschen gleich". Soll ich es wagen, diesen Artikel anzuklicken? Was erwartet mich dann dort? Dass queere Personen nicht unter "alle Menschen" zu fassen sind? Ich wage es. Und ich freue mich, denn es geht tatsächlich um Schwule und Lesben. Und der Autor des Kommentars Hartmut Metzger, Chefredakteur des Kirchenboten, hört sich verständlicherweise ungeduldig an: "Wir Christen sollten uns fast 2000 Jahre nach Paulus einmal gründlich darüber Gedanken machen, über was wir eigentlich streiten. Über die sogenannte 'Homoehe', die es weder im Staat noch in der Kirche gibt? Über den Selbsterhaltungstrieb alter Männer in der Evangelischen Allianz, die keine Frömmigkeit ertragen können, die sie nicht selbst erfunden haben? Oder etwa doch über das, was 'Christum treibet' und 'dem Leben dient': Beides ist entscheidend, sonst nichts."

Warum ist der Schritt einer tatsächlichen Gleichberechtigung in der Trauung immer noch für viele Kirchen so abwegig? Warum ist Gerechtigkeit als Wort von so vielen Christ_innen schnell gesagt, aber als Tat so wenig umgesetzt?

Ein gängiges Argument, warum die Trauung für gleichgeschlechtliche Paare nicht durchgesetzt wird, ist das Betonen der Verschiedenheit. Mir selbst erscheint es absonderlich und künstlich, eine Ehe zwischen zwei Männern oder zwei Frauen als etwas 'Anderes' zu sehen als eine zwischen Mann und Frau geschlossene Ehe. Liebe ist Liebe. Über das Argument der Fortpflanzung brauchen wir nicht reden und darüber, dass sehr wohl auch Schwule und Lesben längst Kinder kriegen und großziehen auch nicht. Geschlecht ist für mich nicht fix, endgültig, immer eindeutig und an bestimmte Genitalien oder Einträge im Geburtenbuch gebunden.

Seit es in Deutschland für intersexuelle* Menschen bei der Geburt die Möglichkeit – bzw. den Zwang – des offenen Geschlechtseintrags gibt (2013) und ebenfalls seit der Änderung des sogenannten Transsexuellengesetzes (2011) hat sogar der Staat quasi schon eingelenkt, dass Geschlecht nicht nur in der Zweiheit von Mann oder Frau in Erscheinung tritt bzw. dass die Geschlechtsteile des Menschen nicht unbedingt etwas (Konkretes) über die Geschlechtsbestimmung aussagen. Geschlechts­bestimmungen sind fluider geworden, offener, (leichter) änderbar.

Wie absurd es ist, gleichgeschlechtliche Partnerschaften irgendwie anders zu behandeln als gegengeschlechtliche zeigen diejenigen Paare, die bewusst oder zufällig entweder noch vor der Transition des einen Partners/Partnerin oder erst danach heirateten: Nach deutschem Recht sind sie dann zum Beispiel – obwohl homosexuell – 'vollwertige' Ehepartner_innen. Es gibt sie also auch schon in Deutschland, die richtigen Homo-Ehen. (Get over it!)

Wie viele andere spricht sich auch Christian Schad, Kirchenpräsident der Pfälzischen Landeskirche, für eine Unterscheidung zwischen homo- und heterosexuellen Beziehungen aus: "Muss Verschiedenes erst gleich gemacht und gleich bezeichnet werden, um gleiche Würde und gleiche Rechte zuzugestehen? Oder ist es nicht ein anspruchsvolleres Konzept von Verschiedenheit, wenn die Ehe und die Lebenspartnerschaft Gleichgeschlechtlicher in ihrer Unterschiedlichkeit benannt bleiben und gerade dem Verschiedenen gleiche Würde und gleiches Recht zugestanden wird?"

Dieser Versuch einer Argumentation ist höchst widersprüchlich: Wie kann hier von gleicher Würde und gleichem Recht gesprochen werden, wenn faktisch homosexuelle 'Ehen', also eingetragene Partnerschaften, noch immer juristisch benachteiligt sind und auch in den meisten Kirchen – eben auch in der Pfälzischen – gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht der gleiche Wert beigemessen und das gleiche Recht zugestanden wird wie gegengeschlechtlichen?

Ich habe diese Argumentation übrigens noch nie von lesbischen, schwulen oder bisexuellen Menschen gehört. Besonders problematisch finde ich es, wenn sie von heterosexuellen, weißen, nicht behinderten, männlichen Menschen kommt. Es ist leicht, mit dem Finger auf wen anders zu zeigen und zu sagen: Du bist anders! Und das ist doch ok so. Das kann doch auch so stehen bleiben. Das soll auch so bleiben. Weil wenn du anders bist, dann bin ich normal.

Und (vermeintliches) Normalsein geht mit Privilegien einher. (Ich sage ja: männlich, weiß, hetero, nicht behindert …)

Der Drang, Unterschiede zu machen, Abgrenzungen herbeizuführen oder sie aufrechtzuerhalten, hat sehr viel zu tun mit dem Vereinnahmen von Privilegien, dem Nicht-teilen-Wollen – der Angst, wenn sich etwas verändert, könnte das zu meinem Nachteil sein.

Wenn Präsident Christian Schad im Interview mit evangelisch.de erklärt, dass Protestantismus für ihn Vielfalt heiße und "dass es keine Hierarchien gibt", dann kann man nur hoffen, dass er sein Verständnis von Protestantismus auch in die Tat umsetzt – ohne faule Kompromisse und Sonderregelungen für die 'anderen' und ohne Palaver über eine angeblich gerechte Verschiedenheit.

Ma(h)l anders

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Ohlson Wallin Abendmahl

Fotokunst (Titel: Abendmahl) von Elisabeth Ohlson Wallin

Heute am Gründonnerstag feiern wir ein großes Mahl. Für viele Menschen hat die Tischgemeinschaft eine ganz besondere Bedeutung. Auch Jesus hat sich stets überlegt, wen er einlädt: Er speiste besonders gerne mit gemeinhin unbeliebten und ausgestoßenen Menschen.

Mein vierjähriger Neffe kam gestern nach Hause und berichtete von der unglaublichen Geschichte, die der Pfarrer im Kindergarten erzählt hatte: "Der Jesus hat alle Menschen zum Essen eingeladen. Es gab zwar noch keine Restaurants damals, aber es hatten trotzdem alle Platz und haben gegessen."

In einer Zeit, in der wir Nahrung im Überfluss haben und dennoch die ungerechte Verteilung dazu führt, dass Menschen des Hungers sterben, erscheint diese Geschichte umso unfassbarer – auch angesichts dessen, dass in 'unseren' reichen Ländern angeblich nicht genug Platz sein soll für Geflüchtete.

Viele Bilder des großen Mahls, des letzten Abendmahls, sind uns im Kopf, allen voran das Abendmahl von Leonardo da Vinci mit den aufgeregten Zwölfen, die miteinander speisen und diskutieren. Vom Jünger, den Jesus ganz besonders liebte, bis zu dem, der ihn verraten wird, sind sie alle dabei – und stehen symbolisch für alle Jünger_innen Jesu.

Es ist der Abend bevor Jesus, der ihnen das Himmelreich verkündet hat, verraten und getötet wird. Sie sitzen zusammen und feiern den Gott der Befreiung und der Gemeinschaft. Aber einen Tag später werden sie sich verlassen fühlen, einsam, ratlos und verzweifelt, weil man ihnen das, an was sie fest glaubten, genommen haben wird. Aber Jesus sorgt vor: Auch nach seinem Tod sollen sie mit ihm verbunden sein, und zwar durch die Elemente Brot und Wein. Essen und Trinken soll die Menschen an Jesus erinnern. "Dies tut zu meinem Gedächtnis", so sagt es Jesus beim letzten gemeinsamen Mahl.

In einer Welt, in der es vielen Menschen nicht möglich ist, satt zu werden, und in der zudem viele Nahrungsmittel krankmachend sind, wirkt es fast zynisch, dass ausgerechnet mit Essen und Trinken Jesus anwesend sein soll. Aber vielleicht geht es auch weniger um das, was wir essen, sondern mit wem. Jesus meinte es ernst mit der Tischgemeinschaft: Im elften Kapitel des Matthäusevangeliums, wird ihm richtiggehend vorgeworfen, dass er sich mit den unbeliebtesten Menschen an einen Tisch gesetzt hat, Menschen, die marginalisiert und ausgestoßen waren, damals besonders Zöllner und sog. Sünder_innen.

Das Abendmahl kann also auch ganz anders dargestellt werden. Die schwedische Fotokünstlerin Elisabeth Ohlson Wallin platziert Jesus bei einem fancy Queer-Mahl: um ihn herum keine Männer, sondern zwölf Transpersonen, Transfrauen. Zwar zeigt das Bild ein ganz bestimmtes Klischee über Trans* – nämlich das der stets sexuell inszenierten Transfrau bzw. der Drag Queen, mit High Heels, viel Make-Up und Perücke, aber auch hier ist eine Stellvertretung für alle die, die als schräg und schrill und queer gelten, herauszulesen. Der Umgang mit Transmenschen innerhalb der LGBT-Szene hat sich zwar über die letzten Jahre gewandelt, war aber sicher zu der Zeit, als das Bild entstand (1990er-Jahre) unbedingt zu kritisieren. In der homosexuellen Hierarchie standen/stehen Transmenschen oft ganz unten, so formulierte es die Künstlerin. Das Bild sollte "zur Ehre und Rehabilitierung der Menschen, für die sich manche schämen"[1] gelesen werden.

Jesus hat sich getraut, auch und gerade die Menschen einzuladen, mit denen keine_r am Tisch sitzen wollte. An einem Tisch sitzen – das tut man auch heute nur mit Menschen, mit denen man glaubt, gut zu können. "Mit dem/der setze ich mich nicht an einen Tisch!"– Damit drücke ich aus, dass ich eine tiefe Abneigung gegen die Person habe. Die Tischgemeinschaft, besonders am Abend eines jeden Tages, ist für viele Familien und Wohngemeinschaften der Ort, wo sich gemeinsam gesättigt wird – in verschiedener Hinsicht: Bei Tisch hören wir einander zu, wir können die Last oder Freude des Tages teilen, trösten, lachen und den Hunger stillen. Jede_r, der_die schon einmal im Leben eine schmerzhafte Trennung oder den Verlust eines geliebten Menschen erlebt hat, weiß, wie schwer es fällt, alleine zu essen, alleine Nahrung aufzunehmen. In liebevoller Gesellschaft gehen die Bissen hingegen besser runter.

Jesus möchte, dass wir uns beim Mahl an ihn erinnern. An all das Gute, das Stillende, das Lebensbefüllende, zu dem wir fähig sind, weil Gott Mensch geworden ist. Er gibt uns dieses Symbol mit, weil er weiß, dass wir morgen verlassen sein werden – bevor wir an Ostern wieder aufstehen.

Manche stehen mit High Heels wieder auf. Auf Elisabeth Ohlson Wallins Bild hat Jesus die gleichen Schuhe an wie seine transsexuellen Jünger_innen – 'weiblich' konnotierte Schuhe. Denn: "Die Leiden eines anderen zu tragen, heißt, in seinen Schuhen zu gehen."[2]

 

 

[1] http://www.lsbk.ch/6-das-abendmahl/

[2] http://www.lsbk.ch/6-das-abendmahl/

Webseite von Elisabeth Ohlson Wallin: http://www.ohlson.se/

Adoption ja, Ehe nein!?

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Foto: Elvert Barnes, Quelle: https://www.flickr.com/photos/perspective/7171528431/in/album-72157630103000372/ (Wiki Commons)

Österreich hat letztes Jahr mit der Gesetzesänderung im Adoptionsrecht überrascht. Seit Jahresbeginn dürfen homosexuelle Paare gemeinsam Kinder adoptieren. Das Institut Ehe bleibt aber weiterhin geschlossen für homosexuelle Partnerschaften.

Seit Jahresbeginn dürfen homosexuelle Menschen in Österreich als Paar gemeinsam Kinder adoptieren. Dieser Entscheid wurde letztes Jahr im Jänner getroffen: Das Adoptionsverbot für gleichgeschlechtliche Paare wurde als diskriminierend und überflüssig beurteilt und aufgehoben. Die meisten Länder der Welt – darunter auch Deutschland – erlauben gleichgeschlechtlichen Paaren keine Adoption.[1] Damit wird homosexuellen Menschen eine wichtige Möglichkeit, Elternschaft zu erleben, verwehrt – bei gleichzeitiger künstlicher Absonderung Homosexueller aufgrund von Kinderlosigkeit. Denn einerseits wird homosexuellen Paaren das Recht zu heiraten aufgrund von fadenscheinigen Argumenten, die die Zeugung betreffen, verwehrt, und andererseits erlaubt man ihnen nicht, qua Adoption Familie mit Kindern zu sein und zu leben. Andreas Kraß, Professor für Literaturwissenschaften und Queer-Theory-Experte, erklärt dazu: "[Es] fällt auf, dass einerseits die Ehe auf die Zeugung von Nachkommenschaft bezogen, zugleich aber entsexualisiert wird, während umgekehrt die gleichgeschlechtliche Partnerschaft sexualisiert und implizit als Verrat am Gesellschafts- und Generationenvertrag stigmatisiert wird (als wenn nicht auch sie familiäre, ökonomische und kulturelle Leistungen erbrächte). Die eklatanteste Aporie besteht aber darin, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften zwar die angeblich zwangsläufige Kinderlosigkeit angekreidet, zugleich aber das Adoptionsrecht verweigert wird: Einerseits sollen sie Kinder haben, andererseits dürfen sie es nicht."[2]

Länder, die homosexuellen Paaren das Adoptionsrecht nicht erlauben, argumentieren meist mit der Betonung auf das Kindeswohl. Neben der Tatsache, dass es sowohl (heterosexuelle) Alleinerziehende gibt, die ein gutes Beispiel dafür sind, dass es nicht unbedingt Mann und Frau als Eltern braucht, als auch heterosexuelle Paare, die ihren Kindern alles andere als guttun, werden nun immer mehr Studien publik, die zeigen, dass Kinder, die in Regenbogenfamilien aufwachsen oder aufgewachsen sind, genauso gut – oder schlecht – aufgehoben sind wie bei zwei verschiedengeschlechtlichen Elternteilen.[3] Zur Betonung auf den Umgang in der Familie – liebevoll, wertschätzend, unterstützend … – kommt, dass zu so manchen Regenbogenfamilien mehr als zwei Erziehende gehören. Und dass Kinder gar nicht genug liebevolle und unterstützende Bezugspersonen haben können, ist nichts Neues und wurde von Erziehungswissenschaft und Entwicklungspsychologie immer wieder bestätigt.

Nun hat Österreich eine merkwürdige Regelung: Schwulen und lesbischen Paaren ist die Adoption eines Kindes zwar erlaubt und auch die künstliche Befruchtung steht gleichgeschlechtlichen Paaren in Österreich offen, jedoch wird ihnen der Zugang zum Institut Ehe noch immer verwehrt. Zwar gibt es die Eingetragene Partnerschaft – und das übrigens erst seit 2010 und nicht im Standesamt geschlossen – aber am Verbot der Homo-Ehe scheint nicht zu rütteln zu sein. Dies bedeutet im Klartext, dass zwar homosexuellen Paaren die "gleichen Familiengründungungsrechte" zustehen wie heterosexuellen, aber die Ehe nicht.[4]

Diese weltweit einzigartige Konstellation ist in höchstem Maße widersprüchlich, ist doch spätestens jetzt das Argument der fehlenden Nachkommenschaft, das gegen die Einführung der Ehe für alle spreche, nicht mehr tragbar. Ganz zu schweigen davon, dass heterosexuelle Ehepaare ohne Kinder – gewollt oder nicht gewollt – dieses Argument immer schon ad absurdum geführt haben.

Kinder von Menschen in Eingetragenen Lebenspartnerschaften gelten zudem in Ländern, in denen es die Ehe für alle gibt, als uneheliche Kinder. Daher klagten in Österreich sowohl homosexuelle Eltern als auch deren Kinder gegen diese Diskriminierung. Vier Paare aus Wien und eines aus Oberösterreich sind bereits vor Gericht gescheitert. Was passiert, wenn die Klage(n) vor den Verfassungsgerichtshof kommen, bleibt nun abzuwarten.

Auf 32 Unterschiede zwischen Ehe und Eingetragener Partnerschaft weist der Artikel der österreichischen Tageszeitung Der Standard hin – einer der gravierendsten ist wohl das ständige Zwangsouting bei Angabe des Familienstandes "EP". So "gebe es in Österreich sieben Familienstände – neben ledig, verheiratet, verwitwet und geschieden auch in EP, nach aufgelöster EP und nach verstorbenem eingetragenem Partner".[5]

Dass man sich in Österreich nun beim letzten rechtlichen Schritt der Gleichstellung so schwer tut, war fast zu erwarten. Es scheint, als sei die Ehe die letzte Bastion der Sexual- und Beziehungsmoral des durch und durch katholischen Österreichs. Die romantisierte und gleichzeitig normierte Vorstellung von Familie, Ehe und Sexualität propagiert nach wie vor das Modell einer auf ewig währenden Frau-Mann-Kind(er)-Konstellation, in der Sexualität an Fortpflanzung und Liebe an Ewigkeit geknüpft sind. Der Mensch täte sich generell leichter, wenn er sich bewusst machte, dass es nicht von der sexuellen Orientierung abhängt, ob man Kinder will oder kriegen kann, wie oft und mit wem (noch) man welche Art von Sex haben will, wie lange eine Beziehung dauert oder wie gut man als Eltern funktioniert.

 

[1] Zu unterscheiden sind Stiefkindadoption, wo das Kind des/der Partner_in adoptiert wird, Sukzessivadoption, wo das adoptierte Kind der/des Partner_in adoptiert wird und "Voll"-Adoption, wo das Paar gemeinsam ein Kind adoptiert.

[2] Andreas Kraß (Hg.): Queer denken. Gegen die Ordnung der Sexualität (Queer Studies), Suhrkamp 2003, S. 9.

[3] "Gleichgeschlechtliche Eltern schaden Kindern nicht", Artikel vom 20.04.2016: http://derstandard.at/2000035301282/Gleichgeschlechtliche-Eltern-schaden-Kindern-nicht

[4] "Lesbisches Paar und Kind aus OÖ klagen gegen Eheverbot", Artikel vom 21.03.2016: http://derstandard.at/2000033302824/Lesbisches-Paar-und-Kind-aus-OOe-klagen-gegen-Eheverbot

[5] "Lesbisches Paar und Kind aus OÖ klagen gegen Eheverbot", Artikel vom 21.03.2016: http://derstandard.at/2000033302824/Lesbisches-Paar-und-Kind-aus-OOe-klagen-gegen-Eheverbot

Angst vor 'Blauem Wunder' in Österreich

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Anhänger schwenken Nationalflaggen von Österreich während einer Rede von FPÖ-Kandidat Norbert Hofer am 1. Mai 2016 auf dem Urfahraner Jahrmarkt in Linz.

Foto: dpa/Christian Bruna

FPÖ-Anhänger in Linz: "Nationale Identität" gehört zu den Hauptpfeilern der FPÖ.

In Österreich kennt man dieser Tage fast nur ein Thema: die Bundespräsidentschaftswahl. Nach dem ersten Wahlergebnis, bei dem der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer wähler_innenstimmenmäßig vorne lag, erwarten viele besorgt den Tag der Stichwahl.

Am vierten Sonntag nach dem ersten Wahlgang, am 22.05.16 also, ist es so weit: In Österreich wird es eine Stichwahl der zwei meistgewählten Kandidaten zur Bundespräsidentschaft geben. Durch den ersten Wahlgang am 24. April liegt Norbert Hofer von der rechtspopulistischen 'blauen' Partei FPÖ mit 35,1 % vorne und Alexander van der Bellen von den Grünen mit 21,3 % dahinter.

Die FPÖ, zu deren Hauptpfeilern "nationale Identität", nationale Grenzziehungen und eine Anti-Gender-Politik gehören, hat klare ablehnende Formulierungen gegenüber homosexuellen Menschen und Frauen in ihrem Parteiprogramm. Die FPÖ lehnt Gender Mainstreaming und Frauenquoten ab, weil die Parteimitglieder meinen, dass damit "Unrecht an einzelnen Menschen" geschehe.[1]

Familie konstituiert sich laut FPÖ-Programm ausschließlich durch Kinder und ausschließlich durch heterosexuelle partnerschaftliche Verbindungen. Familie im erweiterten Sinne, zu der Liebe, Freundschaft, Fürsorge, Pflege von Angehörigen und Freund_innen, unterschiedliche Arten von Obsorge für Kinder, gegenseitige Verantwortung usw. gehören, ist im blauen Programm nicht denkbar. Homosexuelle Paare – ob mit oder ohne Kinder – haben laut FPÖ kein Recht auf Ehe, ja nicht einmal auf eine eingetragene Partner_innenschaft.[2] Die FPÖ spricht also Regenbogenfamilien ab, Familien zu sein und qualifiziert das Rechtsinstitut der Eingetragenen Partner_innenschaften ab, das seit 2010 für homosexuelle Paare in Österreich existiert. Homosexuelle Menschen sind also laut FPÖ – der sogenannten Freiheitlichen Partei – Menschen zweiter Klasse.

In den letzten Jahren hat die FPÖ auch immer wieder negative Schlagzeilen mit ihrer Haltung gegenüber Frauenhäusern gemacht: Die frauenfeindliche Haltung dieser Partei gipfelte darin, dass sie äußerte, Frauenhäuser seien für die Zerstörung von Familien verantwortlich.[3]

Die FPÖ macht den Menschen blauen Dunst vor. Sie nutzt die derzeitige – berechtigte oder unberechtigte sei dahingestellt – Angst um Ressourcen, vor Terror, vor vermeintlicher Überwanderung etc., um eine Politik an den Menschen zu bringen, die marginalisierte und unterprivilegierte Menschen noch mehr an den Rand drängt, ja gar nicht 'hinein' lässt, ausschließt, missachtet, verachtet.

In Österreich ist man spätestens jetzt während der Bundespräsidentschaftswahl (wieder) in Alarmbereitschaft: Die nationalistischen Gedanken der FPÖ versetzen viele Menschen in Schrecken. Die antihomosexuellen Einstellungen verwundern im Rahmen eines solchen rechtsgerichteten Parteiprogramms nicht und lassen erahnen, was homosexuellen Menschen blüht, sollte die FPÖ wieder in die Bundesregierung kommen. Denn wenn bei der Bundespräsidentschaftswahl ein FPÖ-Kandidat von rund einem Drittel der Wähler_innen in Österreich gewählt wurde und gar bei der entscheidenden Stichwahl gewinnt, dann liegt der Gedanke nahe, dass die nächste Kanzler_innenwahl ähnlich ausgehen könnte. Nicht unbegründet ist dann die Befürchtung, dass hart erkämpfte Fortschritte der Homosexuellenrechte den blauen Pseudo-Natürlichkeitsvorstellungen von Ehe und Familie zum Opfer fallen.

Die evangelischen Kirchen in Österreich, innerhalb derer der Einsatz für geflüchtete Menschen derzeit ein Hauptanliegen ist, haben nicht nur einmal Kritik an Programmen und Wahlslogans der FPÖ geäußert. Im Wahlkampf um die Kanzlerschaft 2013 war auf den Plakaten "neben den Konterfeis von Partei-Chef Heinz-Christian Strache und einem blonden Mädchen die biblische Botschaft 'Liebe deinen Nächsten' ergänzt durch 'Für mich sind das unsere Österreicher' zu lesen. Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker und [die damalige] Oberkirchenrätin Hannelore Reiner kritisierten gegenüber dem Evangelischen Pressedienst diese 'missbräuchliche' Verwendung des Begriffes, die nichts mit dem christlichen Verständnis von Nächstenliebe zu tun habe."[4]

 

[1] Abschnitt 4) Seite 8, Parteiprogramm der FPÖ: https://www.fpoe.at/fileadmin/user_upload/www.fpoe.at/dokumente/2015/2011_graz_parteiprogramm_web.pdf

[2] Abschnitt 4) Seite 8, Parteiprogramm der FPÖ: https://www.fpoe.at/fileadmin/user_upload/www.fpoe.at/dokumente/2015/2011_graz_parteiprogramm_web.pdf

[3] Siehe beispielsweise den Beitrag des ORF hier: http://noe.orf.at/news/stories/2541766/

[4] Siehe dazu den Beitrag auf der Seite der Evangelischen Kirche in Österreich: http://evang.at/kritik-an-fpoe-verstaendnis-von-naechstenliebe/

Alles unterm Regenbogen

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Foto: Katharina Payk

Dass es nach wie vor wichtig ist, schwule, lesbische und bisexuelle Identitäten zu unterstützen, zeigt nicht nur die anhaltende Diskriminierung und Gewalt gegen homo- und bisexuellen Menschen. Warum aber könnte es auch wichtig sein, andere queere Lebens- und Liebensweisen sichtbar zu machen?

Die Regenbogenfahne, die in vielen Kulturen und Bewegungen als Symbol von Akzeptanz, Vielfalt und Frieden gilt, stand auch schon in der Geschichte der evangelischen Theologie für Befreiung aus ökonomischer und sozialer Unterdrückung und Ungerechtigkeit. So wählte der protestantische Theologe Thomas Müntzer, der zur Zeit der Bauernaufstände im 16. Jahrhundert für eine gerechtere Gesellschaftsordnung kämpfte, den Regenbogen als Zeichen der Verbindung zwischen den Menschen und Gott.

Den Regenbogen besang auch einst die Schwulenikone Judy Garland in ihrem Hit "Over the Rainbow", wo sie ein Land phantasiert, das einem schönen Traum gleicht und in dem Freiheit und Gerechtigkeit herrschen. Vielleicht war das Lied, das die erfolgreiche Schauspielerin Garland auch im Filmklassiker "Der Zauberer von Oz" sang, eine Inspiration dafür, die Regenbogenfahne seit den Stonewall-Aufständen[1] mit der Lesben- und Schwulenbewegung zu assoziieren, mit dem Kampf für die Befreiung aus Unterdrückung und Diskriminierung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, ebenso wie Transgender und anderen Menschen, die sich als queer bezeichnen.

Queer ist mehr als nur LGB/LSB[2]. Unter dem Regenbogen versammeln sich alle Menschen, deren Sexualität und Liebe und/oder Geschlecht(-sidentität) marginalisiert sind. Wer queer ist, bestimmt allerdings jede_r für sich selbst. Queer beinhaltet neben schwulen, lesbischen und bisexuellen Menschen auch Transmenschen – etwa Transgender oder Transsexuelle – und intersexuelle Menschen sowie asexuell Fühlende. Auch Menschen aller sexuellen Orientierungen, die ungewöhnlichere Beziehungsmodelle oder Sexualpraktiken leben, können dazu zählen. Das sind beispielsweise Menschen in offenen Beziehungen sowie polyamore Menschen – Menschen, die mehrere Menschen lieben und mit mehreren Menschen Beziehungen leben – oder Menschen, die BDSM praktizieren und leben. BDSM ist eine Erweiterung des Akronyms SM ("Sado/Maso") und steht für "Bondage & Disziplinierung, Dominanz & Submission, Sadismus & Masochismus". Polyamore Menschen oder BDSMler_innen erleben oft ähnliche Ausgrenzungen wie LGBTs: Sie verheimlichen ihre Lebensweise oder Sexualität, fühlen sich oftmals gezwungen, ihre Partner_innen zu verstecken und können in "Normalo-Kreisen" nicht über ihre Beziehungen und erotischen Begegnungen sprechen. Viele kommen erst spät in ihrem Leben "raus aus dem Schrank"[3].

Dabei haben diese von der Norm abweichenden Liebes- und Sexualitätskonzepte genau wie homosexuelle Identitäten ein großes gesellschaftspolitisches Potenzial. Sie zeigen mutig und widerstreitend, dass das Beziehungsideal einer romantischen Mann-Frau-Zweierbeziehung, die auf ewig halten soll, mächtig in die Jahre gekommen ist. Sicher – viele Menschen sind glücklich in diesem Modell, das ihnen Sicherheit und Halt gibt. Viele andere aber nicht. Sie wünschen sich andere oder weitere (Sexual-)Partner_innen oder neue erotische Herausforderungen. In vielen "stinknormalen" Zweierbeziehungen werden BDSM-Anteile gelebt oder zumindest phantasiert: Das kann vom kleinen Fesselspiel bis hin zur unterschiedlichen Verteilung von z.B. dominanteren/devoteren Anteilen der (Sexual-)Partner_innen gehen. Trotzdem wird BDSM-Sexualität noch immer vielfach geächtet und als pervers verurteilt.

Ähnlich schief angeschaut werden auch Menschen in Poly-Beziehungen. Obwohl polyamore Menschen einfach nur ihre Liebe zu mehreren Menschen leben und dabei unkonventionellerweise auch oft mehrere Beziehungen eingehen – übrigens immer im Konsens aller Beteiligten – verurteilen viele, diese Art zu l(i)eben. Dabei ist es selbst monogam lebenden Menschen oft gar nicht unbekannt, in mehrere Menschen gleichzeitig verliebt zu sein. Auch was die Sexualität betrifft, so sind viele monogam konzipierte Beziehungen oft viel offener als sie auf den ersten Blick scheinen – sowohl von innen als auch von außen betrachtet. Wo beginnt ein "Seitensprung", was genau wird als "Treue" definiert, wie viel Abenteuer darf oder soll eine Beziehung beinhalten?

Frauenbewegung, Schwulen- und Lesbenbewegung sei Dank, dass wir unsere Bilder und Vorstellungen davon, was Beziehung, was Liebe und Begehren alles sein kann, erweitert haben. Der Regenbogen lädt auf jeden Fall alle diejenige ein, sich unter ihm zu versammeln, die dem heteronormativen Mainstream in die Quere kommen. Queere Lebensweisen zeigen die Vielfalt und die Möglichkeiten, die Lieben und Begehren bereithält. Gleichwohl halten sie den Finger in die Wunde: Das besonders von Kirchen und (christlichen) Religionsgemeinschaften immer noch verfochtene Modell der "Liebe auf ewig und zu zweit" beraubt viele Menschen der Freiheit, Beziehung, Liebe und Sexualität so zu leben, wie es für sie persönlich – und alle anderen Beteiligten – gesund ist.

Der historisch gewachsene politische Impact, den Labels wie schwul, lesbisch oder trans* haben, darf freilich nicht durch eine Vereinfachung und Zusammenwürfelung durch Queer unsichtbar gemacht werden. Ganz im Gegenteil braucht Queer genauso die alten Labels, um die aktivistische Kraft nicht zu verlieren, sowie Schwulen- und Lesbenbewegungen durch Queer ihre manchmal allzu scharfkantigen Abgrenzungen aufweichen konnten.

 

[1] Das Stonewall-Inn war eine Bar in New York, wo sich Homosexuelle und Trans*menschen getroffen haben. Regelmäßig gab es dort gewalttätige Razzien, Festnahmen durch die Polizei und Anklagen aufgrund der sexuellen Orientierung (= Zwangs-Outings). In der Nacht zum 28. Juni 1969 wehrten sich die Bargäste das erste Mal – es kam zu den sog. Stonewall-Aufständen auf den Straßen New Yorks, besonders der Christopher Street (daran wird jedes Jahr am Christopher Street Day, kurz: CSD, erinnert).

[2] Lesbian, Gay, Bisexual / Lesbisch, Schwul, Bisexuell

[3] Engl. coming out of the closet = sich als homo-/bisexuell outen

Gayby Baby

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Gayby Baby Film Still (Matt mit Familie)

Der Dokumentarfilm Gayby Baby gibt Einblicke in das Leben von vier Kindern, deren Eltern entweder lesbisch oder schwul sind und zeigt, inwiefern das Aufwachsen als "gayby" ihr Leben mit beeinflusst. Nächste Woche kommt der spannende und inspirierende Film in Deutschland in die Kinos.

Gus, Ebony, Matt und Graham – alle sind in den Anfängen ihrer Teenagerjahre – leben in unterschiedlichen Familienkonstellationen. Was sie gemeinsam haben: Ihre Eltern, mit denen sie zusammenleben und die sie großziehen, sind homosexuell. Über das Wohl von Kindern in Regenbogenfamilien wird derzeit viel gestritten, besonders wenn es um die Frage geht, ob homosexuelle Paare fremde Kinder adoptieren dürfen. In Maya Newells Dokumentarfilm kommen endlich einmal die Kinder selbst zu Wort! Sie erzählen aus ihrem Leben: über ihre Eltern und deren Beziehungen, über ihre Leidenschaften und Hobbies, ihre Träume und Ängste und sogar über Gott.

Die biologische Herkunft der Kinder – oft die erste und penetranteste Frage gegenüber LGB-Eltern – fließt im Laufe des Films ein, anstatt gleich zu Anfang klargestellt zu werden. Außer – und das ist wohl eines der Schmunzel-Highlights des Films – bei Gus: Der erklärt zu Beginn des Films recht detailliert, wie er zu seiner Existenz kommt – wie das mit einer Samenspende so abläuft. Sein gelassenes wie eingängiges Fazit: "And we did that and now I'm here."

Die Dokumentarszenen im Film behandeln Gender- und Queerthemen, jedoch nicht so unmittelbar wie vielleicht vermutet werden könnte. Der elfjährige Gus zum Beispiel ist leidenschaftlicher Wrestling-Fan – stürmisch und unbändig rauft er am liebsten mit seiner kleinen Schwester. Seine beiden Mütter, denen das misogyne Machogehabe der Wrestlingszene bitter aufstößt, erklären ihm einerseits geduldig, dass ein muskelbepackter Körper gepaart mit einem gewaltbetonten Sport nicht die einzige Männlichkeit ist, die man leben kann und gehen andererseits aber auch mit viel Humor damit um. Eine seiner Mütter begleitet ihn sogar zu einem Live-Wrestling. Gus ist aber auch derjenige, der im Kaufhaus einen roten Lippenstifttester benutzt, woraufhin die schockierte Verkäuferin ihn schimpft, weil es "really not fair" sei. Die Antwort seiner Mutter: "Wisch es nicht ab, nur weil sie [die Verkäuferin] ein Genderproblem hat". Aber mit der Verkäuferin darüber zu diskutieren, dass es okay ist, als Junge Lippenstift zu benutzen, da hat er keine Lust drauf.

Der zwölfjährige Matt, der für sein Alter sehr reflektiert wirkt, hat ganz andere Probleme, nämlich mit der Kirche seiner Mutter. "[Mama,] warum gehst du in eine Kirche, in der alle denken, dass du gegen Gott sündigst? Du könntest doch auch in eine Kirche gehen, in der dich alle für normal halten." Der theologisch versierte Matt, der – so sagt er – seit er fünf ist, mit Menschen über Gott redet, weiß offensichtlich, dass es Kirchen gibt, in denen Lesbisch- und Schwulsein nicht als Sünde oder abnormal gesehen wird. Seine Mutter fragt ihn, ob sein Nichtglauben an Gott irgendetwas damit zu tun habe, dass sie und ihre Partnerin Lou in einer Beziehung sind, was der Bibel zufolge eine Sünde sei. Bei dieser Szene halte ich den Atem an, so spannend finde ich dieses theologische Gespräch zwischen der lesbischen, fromm-katholischen Mutter und ihrem Sohn. Ja, es hat damit zu tun, sagt Matt, und beantwortet damit – für mich – mit einem Schlag die vielen träge und zäh gewordenen Diskussionen in Kirche und Theologie rund um das Thema schwulLesBische Lebensformen.

Dreieinhalb Jahre hat die australische Regisseurin Maya Newell, die selbst in einer Regenbogenfamilie aufwuchs und zuvor bereits verschiedene künstlerische Projekte zu dem Thema realisiert hatte, mit den Kindern und ihren Eltern gedreht. Sie wollte in dem Film, der im April 2015 auf dem größten nordamerikanischen Dokumentarfilmfestival Hot Docs Canadian International Documentary Festival in Toronto seine Weltpremiere hatte, bewusst nicht auf die politische Lage zu LGB-Lebensweisen eingehen.

Denn Ziel des Films ist es, Kinder in Regenbogenfamilien aus ihrem Leben erzählen zu lassen. Es sind allesamt charismatische Kinder, die teilweise mehr Anspruch auf LGB-Akzeptanz erheben als ihre lesbischen und schwulen Eltern selbst, so z.B. Matt, wenn er die Ablehnung von Lesben und Schwulen durch die Kirche seiner Mutter nicht akzeptiert oder auch Graham, der es erst etwas komisch zu finden scheint, dass er nach dem Umzug mit seinen Vätern auf Fidschi nicht mehr offen mit der sexuellen Orientierung und Lebensweise seiner Eltern umgehen soll.

Newell zeigt uns einen kleinen Schatz: unmittelbar wirkende Einblicke in das Leben der Regenbogenkinder – ohne dramatische Kameraeinstellungen und ohne Pathos. Die nahe, aber nicht aufdringliche Kamera ermöglicht, dass wir uns als Zuschauer_innen "mitten drin" fühlen und nicht penetrant voyeuristisch wie bei einer typischen TV-Doku etwa. Sehr deutlich wird das, als Ebonys kleiner Bruder, der gerade einen schweren Epilepsie-Anfall erleidet, ins Krankenhaus gebracht werden muss. Ebony und ihre zwei Mütter sind in tiefer Sorge. Kurz scheint Chaos zu herrschen, und als Betrachter_in fühlt man, dabei zu sein, anstatt von außen darauf zu schauen.

In Australien, wo der Film überwiegend gedreht wird (Protagonist Graham zieht gleich zu Anfang des Films mit seinen Vätern in die Republik Fidschi), sind die Debatten und Lösungsansätze ähnlich zerfasert und mühsam wie hierzulande. Je nach Bundesland gibt es in Australien verschiedene Gesetze zu Verpartnerung und Adoption. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften finden auf Bundesebene keine Anerkennung. In fünf australischen Bundesstaaten (Australian Capital Territory, Western Australia, New South Wales, Tasmanien und Victoria) ist die gemeinsame Adoption eines fremden Kindes für homosexuelle, offiziell verpartnerte Paare erlaubt. In Deutschland ist die gemeinschaftliche Adoption eines fremden Kindes für Homosexuelle nicht erlaubt, in Österreich ist dies seit diesem Jahr möglich.

Die Paare erscheinen solide, aber wie überall im Familienleben gibt es manche Konflikte. Die Familien gehen mit Belastungen und Problemen um, v.a. auch die Schwierigkeiten, mit denen die Kinder konfrontiert sind. Die Kinder im Film haben einige Päckchen zu tragen: Ebony erlebt in ihren jungen Jahren den Druck der Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft in Form ihrer Schul-Aufnahmeprüfung und wächst in Sorge um ihren kleinen Bruder auf. Graham muss sich unter Gleichaltrigen zurechtfinden, obwohl er durch das Verschulden seiner leiblichen Eltern bis zum Alter von fünf nicht sprechen konnte, und Matt sieht sich einer Kirche und einem Pfarrer konfrontiert, die die Lebensweise seiner Mutter als Sünde abstempeln. Aber die meisten der Probleme haben nichts mit dem Schwul- oder Lesbischsein ihrer Eltern zu tun bzw. der Tatsache, dass sie in Regenbogenfamilien aufwachsen. Es sind ganz "normale" und normal-außergewöhnliche Probleme, mit denen Familien umgehen müssen. Die Kinder sind in Ordnung. The kids are all all right.

Gayby Baby, Regie: Maya Newell, Australien 2015, 85 min.

Kinostart: 23.06.2016

Zum Kinostart gibt es Veranstaltungen rund um den Film in verschiedenen Städten. Informationen dazu finden Sie hier: http://gaybybaby-film.de/screenings/


Pride Prayer

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Foto: Tatjana Walkner

Auch dieses Jahr gab es zur Regenbogenparade wieder einen ökumenischen Pride Prayer in Wien, diesmal unter dem Titel: Spice up your life, spice up your world, spice up your church!

Die "stolze" Andacht fand dieses Jahr in der römisch-katholischen Kirche Maria am Gestade statt. Mitten im ersten Bezirk Wiens lud die HUG (Homosexuelle und Glaube) zum Queer-Gottesdienst ein – wie letztes Jahr auch in der Hochzeit der Pride-Woche, nämlich am Freitag vor der Parade.

Mit freundlichen Begrüßungsworten von Pater Hans Hütter wurde die mobile Queer-Gemeinde in der römisch-katholischen Kirche willkommen geheißen. – Nicht gerade etwas Alltägliches in Wien. Mitgestaltet wurde der Gottesdienst ebenso von Vertreter_innen der evangelischen Kirchen (lutherisch und reformiert), der Episkopalkirche sowie der Altkatholischen Kirche. Leider haben die weiblichen* Geistlichen absagen müssen, daher präsentierten sich vorm Altar ausschließlich Männer in Talar und Priestergewand – ein etwas erschlagendes Bild.

Die gehaltvolle und authentische Predigt hielt der römisch-katholische Pfarrer Gregor Jansen, der als Antwort auf die Ankündigung des queeren Gottesdienstes homophobe Ausrufe wie "Der Kirche laufen die Gläubigen davon, und Du rennst den Schwulen hinterher. Haben wir als Kirche denn keine anderen Sorgen?" erhalten hatte.

Pf. Jansen ging in seiner Predigt auf den Hass gegen Schwule, Lesben und Transgender ein, der sich in den Morden in Orlando aufs Schrecklichste zeigt, aber auch auf den Hass derer, die diese Tat unter vermeintlich christlichen Glaubensgrundlagen krude verherrlichen, wenn sie sagen, der Mörder von Orlando sei Instrument Gottes gewesen – er käme zwar in die Hölle, nicht aber weil er 49 Menschen ermordet habe, sondern weil er Moslem sei. Aber nicht nur Orlando bezeuge den Hass und die Gewalt gegen Menschen, die anders sind – anders leben, anders lieben – als es der Norm entspricht. Viele sagen, so Jansen, Queere sollten eher nicht auffallen, ihre (sexuelle) Identität besser verbergen. Die Bergpredigt spreche eine andere Sprache. Sie sagt: Lebt auffällig! Lebt so, dass man euch bemerkt. Christinnen und Christen sollten merk_würdig, frag_würdig und deswegen glaub_würdig leben, predigte Pf. Jansen weiter. Christ_innen sollten sich nicht in der Masse verstecken, sondern so leben, dass sie bemerkt werden, so leben, dass sie gefragt werden und gefragt sind, sie sollten authentisch sein und Zeugnis geben. Das, was damals für Menschen galt, die durch ihren Glauben in Bedrängnis waren, gelte heute etwa für Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung bedroht werden und Gewalt erleben. Es bedeute, in einer feindlichen Umwelt sich zu wehren, aufzustehen und Flagge zu zeigen – mit einem gewissen Stolz, "Pride", aufzutreten. Allerdings solle es nicht damit genug sein, sich trotzig und stolz einer feindlichen Umwelt gegenüber zu outen, sondern Salz der Erde und Licht der Welt zu werden. Damit nimmt der Prediger den Titel des Pride Prayers auf: Spice up your life, spice up your world, spice up your church – "zuerst für dich selbst, dann auch für die Gruppe und die Gesellschaft, der etwas Geschmack, Farbe und Würze ohne dich fehlt – und schließlich auch für die Kirche", so Pf. Jansen.

Auch (katholische) Predigten können politisch sein: So wies Pf. Gregor Jansen darauf hin, dass er es "nicht als Zeichen des Zugehens auf die Queer-Community sieht, wenn eine Kirche sich als queer friendly zeigt, sondern als eine notwendige und wichtige Öffnung der Kirche zu ihrem eigenen Nutzen, zu ihrem eigenen Fortschritt".

Neben der eingehenden Predigt und der gelungenen Alternative zu Eucharistie bzw. Abendmahl, Brot und Salz einander mit dem Friedensgruß zu reichen und zu sich zu nehmen, hat mich besonders gefreut, ein paar Gesichter im Gottesdienst zu sehen, die ich aus der Queer-Gemeinde, bisher aber nicht aus kirchlichen Zusammenhängen kannte. Ein queerer Gottesdienst zieht also viele verschiedene Menschen an – das bewies auch die an dem Abend vollbesetzte Kirche (s. Foto oben).

Ich nahm mit: Ein paar Chilis und Salz, die mir als Geschenk in die Hand gedrückt wurden, den bitteren Beigeschmack, dass Bisexuelle und Intersexuelle im gesamten Gottesdienst nicht erwähnt und damit leider vergessen wurden, den Nachklang einer würzigen, scharfen Predigt, die mit viel Sensibilität vorgetragen wurde und den Wunsch, gleich nächste Woche wieder zu einem queeren Gottesdienst gehen zu können.

Die Mitgestaltenden der Andacht: H. Hütter, W. Bidner, B. Németh, G. Jansen, W. Baer (v.l.n.r.)

Bewegungen in Württemberg

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"Initiative Regenbogen"

Foto: Dan Peter

Die Evangelische Landeskirche Württemberg ist mit derjenigen in Sachsen die einzige, in der es nach wie vor keine Segnungsmöglichkeit für gleichgeschlechtliche Paare gibt. Die Initiative Regenbogen will das nicht länger hinnehmen.

Mit Freude las ich dieser Tage, unter anderem hier auf evangelisch.de, von dem Zusammenschluss "Initiative Regenbogen", der aus dem Bündnis Kirche und Homosexualität (BKH) hervorgegangen ist. Beide bewegen sich und etwas in der Evangelischen Landeskirche Württemberg, in der sich die meisten noch immer sehr schwer tun, schwuLesBische Lebensweisen zu akzeptieren und LGBT(IQ)-Rechte umzusetzen. Der Kampf – und ja, es ist ein Kampf! – für z. B. Schwule, Lesben und Bi*sexuelle muss dort besonders hart sein. So existiert bekannterweise in Baden-Württemberg u. a. ein starkes pietistisches Lager – bis hin zu vielen rechtskonservativen Stimmen. Dies zeigt sich in den Positionierungen der Kirche genauso wie in den Volksbewegungen, die gegen eine emanzipatorische Sexualaufklärung in Schulen oder die Verankerung von vielfältigen Lebens- und Liebensweisen im baden-württembergischen Bildungsplan sind.

Kirchengemeinderätin Judith Quack, Sprecherin der Initiative Regenbogen, erklärt dazu: "Volkskirchen, die wie die Evangelischen Landeskirchen in Baden und noch stärker in Württemberg stark vom Pietismus und neoevangelikalen Bewegungen geprägt sind, stehen hier vor besonderen Herausforderungen. Wo die (ablehnende) Haltung zu Homosexualität als Lackmustest biblisch begründeten Christseins gilt, fällt Auseinandersetzung und Verständigung schwer."

Der Initiative Regenbogen gehören nun 17 Kirchengemeinden an. Die ersten 16 Kirchengemeinden überreichten am 9. Juli 2016 dem Landesbischof und der Präsidentin der Württembergischen Evangelischen Landessynode in Heilbronn eine öffentliche Erklärung (s. Foto): "Wir sind offen für Lesben und Schwule in unserer Gemeinde, für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, für Pfarrerinnen und Pfarrer, die mit ihrer Partnerin/ihrem Partner im Pfarrhaus leben wollen. Für uns ist es selbstverständlich, dass Lesben und Schwule zur Kirchengemeinde gehören. Menschen unterschiedlicher Lebensformen und sexueller Identitäten sind willkommen!", heißt es in der Erklärung.

Während in anderen Landeskirchen – ja neuerdings sogar in der im gleichen Bundesland positionierten Landeskirche Baden! – beim Traugottesdienst längst kein Unterschied mehr gemacht wird, ob ein Paar gleichgeschlechtlich oder verschiedengeschlechtlich ist, wird in Württemberg nun immerhin verstärkt über die Sonderform einer Segnung für gleichgeschlechtliche Partner_innenschaften diskutiert. Wäre es zu "weit vermessen" oder zu ehrgeizig gewesen, gleich über die "richtige" Trauung zu verhandeln?

Judith Quack veranschaulicht den Kurs der Initiative und antwortet mit Zuversicht auf die Frage, warum Segnung und nicht gleich Trauung: "Die Initiative bezieht sich auf die bis heute nicht zurückgenommene Feststellung im Gemeinsamen Bericht von Landessynode und Oberkirchenrat aus dem Jahre 1995: 'In der württembergischen Landeskirche ist die Segnung von homophilen Paaren nicht möglich.' Dem wollen wir als Kirchengemeinden etwas entgegensetzen – in unseren Augen ist sie möglich und notwendig! Der Beschluss der badischen Landeskirche, die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare nicht nur zu ermöglichen, sondern der Trauung heterosexueller verheirateter Paare gleichzustellen, gibt die Richtung vor und macht uns Hoffnung für den Prozess, der durch die Überarbeitung der Trauagende im kommenden Jahr auch in Württemberg in Gang kommen wird."

Von ihren verlautbarten Positionierungen und Forderungen beschränkt sich die Initiative - genau wie das BKH - auf Homosexuelle. Dass damit wiederum Ausschlüsse aufrechterhalten und produziert werden, wird wohl innerhalb der Gruppen reflektiert, nicht aber publik gemacht. Wäre es zu viel, auch queer, trans* und bi*/pan als Bezeichnungen zu verwenden? Was ist der (Hinter-)Grund für ein sprachliches Ausdrücken, das vermittelt, es gäbe nur Menschen, die Mann oder Frau, hetero oder homo sind? Ist es aus strategischen Gründen sinnvoll oder gerechtfertigt, Dichotomien, die Ausschlüsse herstellen, zu wiederholen?

Für das Bündnis Kirche und Homosexualität sowie die Initiative Regenbogen ist es das. Denn noch immer ist das basale Ziel beider, "gleiche Rechte für Lesben und Schwule in der Kirche" durchzusetzen. "Dass dieses Ziel noch nicht erreicht ist, zeigen die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Segnung eines Frauenpaares in Böblingen. Aber auch wir sehen unter dem Regenbogen Menschen 'aller Geschlechter dazwischen und jenseits'; darum sind wir in diesem Jahr dem Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg beigetreten", erklärt Judith Quack.

Das Konzept Queer werde laut der Sprecherin vielstimmig diskutiert. "In den Auseinandersetzungen spielen neben theologischen Fragen auch die Frage nach Selbstbezeichnungen, Geschlechterkonzeptionen und politische Zielsetzungen eine wichtige Rolle." Wichtig sei den Mitgliedern aber vor allem, "von allen unmittelbar verstanden zu werden"– und das Wort Homosexualität ist ja sicher auch in Württemberg jeder_m geläufig.

Die Initiative Regenbogen ist so mutig wie wichtig: Viele von 'uns' kennen das – es ist nicht leicht, in einem Kreis von teilweise Ewiggestrigen für die Rechte von Lebenskonzepten und Liebensweisen einzutreten, die für eine_n selbst unaufgeregt selbstverständlich sind.

Quack hingegen ist positiv gestimmt und weiß den offenen Austausch zu schätzen: "Zum Glück haben wir in allen Gesprächskreisen auch die Bereitschaft zu Begegnung, Auseinandersetzung und Verständigung wahrgenommen. Warum sollte nicht auch in Württemberg gelingen, was in Baden gelungen ist?"

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Auf change.org gibt es eine Online-Petition zum Thema "Trauung für alle auch in der Evangelischen Landeskirche Württemberg".

They ain't afraid in no ghost

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Foto: Katharina Payk

Die vier männlichen Geisterjäger aus den 80er-Jahren wurden im neuen Ghostbusters-Film durch vier weibliche ersetzt. Über das Begehren der Protagonistinnen wurde viel spekuliert. Jetzt ist der Film in den Kinos und zeigt mit der Art, wie er mit Begehren und Rollenzuschreibungen umgeht, dass sich die Zeiten geändert haben.

Relativ erwartungslos ging ich letzte Woche ins Kino in das Remake der allseits beliebten Science-Fiction-Komödie Ghostbusters, in seiner ersten Fassung 1984 in die Kinos gekommen. Es sollten vier Frauen statt vier Männer sein – das war alles, was ich wusste. Und dass sie ganz viel über Geister sprechen anstatt über Männer oder andere sogenannte Frauenthemen. (Sic!) Jegliche Rezension ersparte ich mir: Es sollte ja nur zur Zerstreuung am Abend sein – was kann man schon von einem Hollywood-Blockbuster erwarten?

Regie führte Paul Feig, mit dem zusammen Katie Dippold auch das Drehbuch geschrieben hat. Die Hauptrollen spielen Kristen Wiig, Melissa McCarthy, Kate McKinnon und Leslie Jones – allesamt bekannte US-amerikanische Schauspielerinnen und Comediens.

Der Plot ist simpel: Die zwei Wissenschaftlerinnen Dr. Erin Gilbert und Dr. Abigail (Abby) Yates hatten einst ein Buch über paranormale Phänomene verfasst, das durch Abbys Zutun plötzlich wieder auf Amazon erscheint und die seriöse Teilchenphysikerin Erin ihre universitäre Karriere kostet. Der Streit zwischen den beiden Busenfreundinnen wird rasch beiseitegelegt, denn sie werden zum Geisterjagen in ein altes Schloss gerufen. Und längst ist auch Dr. Jillian Holtzmann, eine freakige Ingenieurin, die sich weder vor Nuklearenergie noch vor sonst etwas zu fürchten scheint, mit im Team. Komplettiert wird das Geisterjägerinnenquartett durch die schlagfertige U-Bahn-Arbeiterin Patty Tolan, die sich sicher ist, dass die drei ohne sie keine Chance haben, da sie die Stadt kenne wie kein_e andere_r. Die vier sind sich ihrer Sache sicher: Sie wollen mithilfe ihres Know-Hows die Stadt von Geistern befreien. Aufträge gibt es genug, schließlich hängen die Zettel bald in der ganzen Stadt: "If there's something strange in the neighbourhood …". Das Telefon im Vorzimmer der selbst eingerichteten Ghostbusters-Zentrale oberhalb eines Chinarestaurants beantwortet der völlig "unfähige" aber hübsche Sekretär – sofern es ihm gelingt, den Hörer abzunehmen. Dass ihr erster großer Auftritt bei einem Heavy-Metal-Konzert den eigentlichen Stars die Show stiehlt und die headbangenden Besucher_innen den bösen Geist feiern wie absichtlich installierte Showeffekte, ist zum Brüllen komisch. Auch eine Art, Geister zu bezwingen.

Kate McKinnon, die im realen Leben offen lesbisch lebt, spielt die Rolle der Jilian Holtzmann. Deren Forschungsanliegen, Geister mit Hilfe nuklearer Energie zu bändigen und einzufangen, erscheint äußerst passend zu ihrem Charakter: Mit voller Power, aggressiv strahlend scheint ihr nichts unmöglich, auch nicht, die eher zugeknöpfte Erin aus der Reserve zu locken. Holtzmann ist alles andere als zurückhaltend, sie gewinnt die Show mit ihrer bombastischen Ausstrahlung, die mit Inbrunst eine große Portion Queerness und Feminist Punk verkörpert. Als Zuseher_in glaubt man sich rasch sicher zu sein: Holtzmann ist lesbisch. Ihre symbolschwangeren Gestiken und flirty Blicke in Richtung Erin deuten zu 150 % darauf hin. Doch wer sich diesbezüglich mehr erhofft, verlässt das Kino unbefriedigt: Es gibt keine Liebes- oder Sexgeschichte im neuen Ghostbusters.

Auch der angedeutete Flirt zwischen Erin und dem gutaussehenden, aber tumben Gehilfen Kevin geht ins Leere. Erins Lust auf den sexy Sekretär wird innerhalb des Films nicht weiter nachgegangen: Er kriegt es noch nicht einmal mit. Eine kluge Frau auf Abwegen, so könnte man die Szenen kommentieren, in denen Erin versucht, den auf vielen Ebenen beschränkten und später vom Geist besessenen Kevin anzumachen. Da haben die schlagfertigen Sprüche Holtzmanns schon mehr Potenzial. Man wünscht sich wenigstens einen Kuss zwischen den zwei sehr unterschiedlichen Frauen. Aber dafür ist Hollywood und die Welt wohl noch nicht bereit: Offen lesbisches Begehren in einem Sommer-Blockbuster zu zeigen, ohne dass es dabei um einen fokussiert homosexuellen Plot geht. No way.

Aber eins ist klar: Wenn wir davon ausgehen, dass Erin auf Männer steht, weil sie Kevin anbaggert, dann gehen wir auch davon aus, dass Jilian auf Frauen steht, weil sie Erin anbaggert. Queer fact. Und schließlich soll es ja auch eine Fortsetzung geben.

Aber das eigentlich Bemerkenswerte an diesem Film ist ja: Es geht überhaupt fast gar nicht ums Begehren der Jägerinnen. Es geht um deren Kompetenz und Leidenschaft, Geister zu jagen, um deren Zusammenhalt und Freundinnenschaft, in einer Welt, wo man ihnen ihre Fähigkeiten abspricht, wo andere (vermehrt Männer) sich mit ihren Fahnen schmücken bzw. ihre Lorbeeren einheimsen. Es geht um einen unbändigen und unerschrockenen Tatendrang, um Mut und – nicht zuletzt – um viel Humor! Jener ermöglicht es auch, das 180-gradige Umdrehen der Geschlechterrollen zu ertragen: War früher die Darstellung von Frauen als dümmliche und sexy Assistentinnen an der Seite starker männlicher Hauptfiguren vorprogrammiert, so wird sich einmal mehr genau darüber mokiert, indem der Sekretär Kevin sowohl übertrieben sexualisiert sowie frei von jeglicher Auffassungsgabe inszeniert wird. Da man bei einer Ghostbusters-Komödie grundsätzlich keinen tiefsinnigen Humor erwartet, kann man über das Unvermögen des Adonis-Assistenten zu telefonieren getrost und laut lachen.

Der Streifen besteht ohne Probleme alle feministisch-filmkritischen Tests: den bekannten Bechdel-Test, den erhellenden Sexy-Lamp-Test und den Mako-Mori-Test. Alle drei befragen Filme auf das Vorhandensein, die Darstellung und die Inszenierung weiblicher Charaktere sowie ob sie hauptsächlich oder nur in Bezug zu männlichen (Haupt-)Rollen gesetzt sind oder für sich agieren und sprechen. In der Rezeption und Ankündigung des Female-Ghostbusters-Films zeigt sich, dass er auch den Furiosa-Test bestanden hat: Misogyne Menschen rufen zum Boykott des Films auf. Der Trailer gilt als der mit den meisten "dislikes" in diesem Jahr.

Neben den Kategorien Gender und Begehren sollte auch ein Blick auf die Rollenverteilungen von Schwarzen und weißen Personen geworfen werden: Patty Tolan ist die einzige Schwarze Ghostbuster – und auch die einzige ohne Doktorgrad. Zufall? Sicher nicht. Auch wenn Pattys Stärke nicht im Geringsten hinter der von Abby, Jilian und Erin steht, fällt doch eine recht stereotype Inszenierung auf: Die Schwarze Frau ist die einzige Arbeiterin. Das war auch schon im alten Ghostbusters-Film so: Ernie Hudson, ebenfalls PersonOfColor, spielte 1984 den Geisterjäger Winston Zeddemore, der ebenfalls der einzige Nicht-Wissenschaftler im damaligen Quartett war.

Positiv fällt auf, dass die vier weiblichen Ghostbusters weder sexualisiert werden noch durch ausschließlich normierte Körperlichkeiten langweilen: nicht (nur) dünn, nicht jung, ofColor, freaky und gekleidet in die kultigen Kluften der Geisterjäger_innen bestechen sie durch Vielfalt und entgehen der Eintönigkeit der sonst im Mainstream ubiquitären Vereinnahmung durch den male gaze.

Ich hoffe auf eine Fortsetzung und wünsche bis dahin allen, die ins Kino gehen, gutes Amüsement. Für wen es möglich ist, empfehle ich, eine Vorstellung in 3D und in OV zu besuchen. So kann man die Geister und die Witze maximal genießen.

Ghostbusters, Regie: Paul Feig, USA 2016, 117 min.

Kinostart Deutschland: 04.08.2016

"Es ist nie zu spät" - Über ein spätes Coming-out

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Foto: Robert Kriz

Dass es zwar schwieriger, aber umso wichtiger ist, auch mit über 50 noch zu beginnen, zu seiner sexuellen Orientierung zu stehen, erzählt diese Geschichte.

Helmut[1] kenne ich schon seit über vier Jahren. Er ist 53 Jahre alt. Ich lernte ihn am Anfang meiner "Wienzeit" bei einer Fortbildung kennen. Wir wurden Freunde, da uns der gemeinsame Austausch über Gott und die Welt getaugt hat.

An jenem Abend saßen wir im Kaffeehaus, wie fast immer, wenn wir uns treffen. Wir plauderten über dies und das, über die Arbeit und die Familie, Filme und Bücher und zwischenmenschliche Probleme.

Helmut war für mich schon immer irgendwie queer – nicht nur, dass er mir immer so viel Wertschätzung für meine Arbeit, meine Vorträge, Texte zum Thema Queer entgegenbrachte, sondern auch, dass er mir irgendwie "schräg" vorkam, im positiven Sinne. Vielleicht lag das auch daran, dass er Einiges von einem sog. Nerd hat. Dass er vielleicht auch auf Männer steht – obwohl er mit einer Frau verheiratet ist und drei Kinder hat – kam mir sehr wohl des Öfteren in den Sinn, beschäftigte mich aber nicht näher. Er wird schon was sagen, wenn er mit mir reden will, dachte ich.

Und das tat er. An diesem Nachmittag im Frühjahr im Kaffeehaus. Der Wiener Wind war an dem Tag besonders stark, so dass wir uns entschieden, hinein zu gehen. Helmut trank eine der unzähligen Wiener Kaffespezialitäten mit Gedöns – ich merke mir die Namen nicht, weil ich mich nicht dafür interessiere – und kommentierte meinen Verlängerten Schwarzen, ebenfalls wie immer: "Wie kannst du nur dieses bittere Gesöff pur und schwarz und ohne alles trinken?" Wie immer lachten wir. "Kann ich mit dir über was reden?", fragte er abrupt und nahm einen tiefen Zug an seiner Zigarette (Ja, in Wien ist Rauchen in Cafés teilweise immer noch erlaubt!). "Sicher", sagte ich, "das weißt du doch", und fügte scherzhaft einen Satz dazu, den mir meine Freundinnen aus Studienzeiten angedichtet hatten: "Bei mir ist immer Beichtgelegenheit!" Bam. Genau darum ging es für Helmut. Für ihn fühlte es sich an wie eine Beichte.

"Ich steh' auf Männer", sagte Helmut und atmete dann lange aus. "Also auch, oder nur, ich weiß nicht", sagte er. "Ich liebe oder liebte ja auch meine Frau, aber eben nicht nur." Es war raus. Er hatte es jahrelang für sich behalten. Er hatte sich einfach nicht getraut. Es war anders, als wenn ein Siebzehn- oder Dreiundzwanzigjähriger sagt: Ich bin schwul oder ich bin queer. Helmut ist ein "gestandener" Mann, dessen sexuelle Orientierung/Liebensweise scheinbar für alle klar war durch sein Leben mit Frau und Kindern. Er war fest verankert in Job und Familie.

Ein Outing als Homo- oder Bisexuelle_r – das ist doch heute und hier kein Thema mehr? Doch! Einmal mehr, wenn die betreffende Person ihr bisheriges Leben über als "stinknormaler Hetero" gelebt hat und das Outing eher später passiert. Was wird die_der (Ehe-)Partner_in sagen und wie wird er_sie sich fühlen, wen verletzte ich vielleicht mit meinem Outing, wie werden Freund_innen und Bekannte reagieren, werden sich die Nachbar_innen das Maul über mich zerreißen, die Kolleg_innen?

Helmuts erste Sorge galt seiner Frau. Mit ihr hatte er bereits einen Tag zuvor gesprochen. "Eigentlich sind wir über die vielen gemeinsamen Ehejahre eher so etwas wie gute Freunde geworden", hatte mir Helmut schon einmal über deren Beziehung erzählt. "Ich glaube, das ist bei vielen Paaren so. Die Liebesbeziehung verblasst hinter Kindererziehung, gemeinsamem Haushalt und Joballtag. Wir fanden das aber nie schlimm, sondern haben festgestellt, dass unsere Beziehung andere Werte beinhaltet. Freundschaft statt Verliebtsein. Liebevolle Wohngemeinschaft statt ewigen Streitereien."

Vor dem Hintergrund dieses ausgesprochenen und konsensuellen Beziehungsstatus fiel es Helmuts Frau nicht schwer, mit seiner "neuen" sexuellen Identität umzugehen. Klara ist Sozialarbeiterin und arbeitet hauptsächlich mit Jugendlichen. "Du brauchst mir nicht erklären, was Queer ist", hatte sie wohl zu Helmut gesagt. Viel wichtiger war ihr, die Frage an Helmut zu stellen: Was brauchst Du jetzt, was möchtest Du weiter tun, wie geht es mit uns weiter? (Wann) möchtest du es den Kindern sagen?

Helmut lutschte auf seinem Kaffeelöffel herum und dachte laut: "Obwohl ich weiß, wie vielfältig queere Biografien sein können, dachte ich immer: Das muss ich doch eigentlich schon immer gewusst haben. Oder: Sich mit über 50 zu outen – das ist doch lächerlich. Oder: Alle werden denken, ich hab mir und meiner Frau all die Jahre etwas vorgemacht. Das kann ich meiner Familie nicht antun. Ich habe immer gehofft, das geht wieder vorbei."

Helmut erzählte mir auch, er habe sich dem Pfarrer seiner Gemeinde anvertraut. Er ist seit einiger Zeit in einer römisch-katholischen Gemeinde engagiert und geht auch hin und wieder zur Messe. "Irgendwie hat mir mein Glaube immer Kraft gegeben, obwohl ich in der katholischen Lehre eigentlich immer nur gehört habe, wie verkehrt ich bin. Die Vorstellung vom Himmelreich auf Erden hat mich dazu veranlasst, in meinen Träumen meinem Begehren nachzugehen, meine wahre Identität zu leben, mit Gottes vollster Zustimmung. Dadurch dass ich diese Momente tagträumte, konnte ich sie mir überhaupt vorstellen. Es war wahr, es war greifbar: Ich lebe und liebe mich selbst. Und alle anderen wissen Bescheid." Der Pfarrer hatte zurückweisend reagiert. Helmut beschmutze und zerstöre seine Familie, wenn er sich als schwul, homo- oder bisexuell oute, hatte der Geistliche gesagt. Und vor Gott würde er in Sünde leben. Eine selten heftige Antwort. Für Helmut war das Thema damit erst einmal erledigt. Erst als ich ihm 2015 erzählte, dass ich für den Blog "Kreuz und Queer" auf evangelisch.de schreibe, fing er wieder an, seine sexuelle Orientierung und seinen Glauben zusammen zu denken. Er las nächtelang Artikel und recherchierte im Internet über christliche LGBT[2]-Gruppen. "Toll, was ihr da macht, und wichtig", hatte er mehrfach anerkennend gesagt.

Ein Comin- out ist nicht gleich ein Coming-out. Ob und wie es mit möglichst wenig Blessuren "gelingt", hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab: Das Alter und die Religion/Konfession können wie bei Helmut Faktoren sein. Auch spielen kulturelle Hintergründe/Traditionen eine wichtige Rolle und die Frage, ob es eine Art Auffangnetz gibt. Das können Freund_innen, Familie, professionelle Berater_innen oder eine gute Vernetzung in der Queer Community sein. Vor einigen Jahren dachte man, Coming-out-Gruppen seien seit der Generation 2.0, wo sich jede_r im Internet findet und informiert, obsolet. Dennoch schätzen viele immer noch und gerade heute die direkte Kontaktmöglichkeit, den menschlichen Austausch über regelmäßige längerfristige oder temporär begrenzte Gruppen. Für ein spätes Coming-out wie bei Helmut gibt es in diesem Bereich allerdings oft keine oder nur wenige Angebote.

Ein Mensch, der sich beispielsweise mit über 50 outet, hat nicht den Vorteil der Jungen: auf queere Parties gehen, den ersten (gleichgeschlechtlichen) Kuss mit den Freund_innen teilen, sich ausprobieren mit Styles, mit Musik, mit Queer-Politik – das alles hat Helmut "verpasst"? Nein, stimmt nicht, sagt Helmut, ich war in dieser Zeit schon glücklich mit meiner Frau zusammen. Er schaute mich grübelnd an: "Katharina, glaubst du, dass Homosexualität angeboren ist? Weil das verwirrt mich immer: Die meisten Schwulen, die ich kenne, haben das schon in ihrer Kindheit gewusst."

Das Gespräch berührt mich, denn es ist anders als viele anderen Gespräche, die ich zuvor zu dem Thema hatte. Es geht tief. Es ist nicht selbstverständlich. Es bricht ein schweres Schweigen. Ich verspüre Glück, weil ich sehe, wie sich in meinem Freund Helmut etwas gelöst hat. Ein Jahre altes, verfilztes Wollknäuel. Gleichzeitig weiß ich irgendwie: Es wird unter Umständen nicht alles leichter für ihn. Zumindest nicht sofort.

In wen wir uns verlieben oder wen wir begehren, kann sich im Laufe unseres Lebens verändern. Manche bleiben ein Leben lang hetero- oder homosexuell. Manche sagen, sie wussten das schon immer, dass sie so oder so empfinden. Andere sind mal mit einer Frau, mal mit einem Mann zusammen (oder mit anderen Geschlechtern). Wahrscheinlich sind Teile der sexuellen Orientierung angeboren und andere haben damit zu tun, auf wen wir in unserem Leben treffen und mit welchen "Begehrensmöglichkeiten" wir umgeben sind. Ich erinnere mich an eine Freundin von mir in der Studienzeit: Sie war mit einem Mann verheiratet und verliebte sich prompt in eine Frau, die schon länger lesbisch lebte. Die beiden wurden ein Paar. Von einer lesbischen Ader hatte diese Freundin bis dato nichts "geahnt".

Helmut fühlt sich jetzt freier, berichtete er mir bei unserem letzten Treffen. Der Sommer in Wien veranlasste uns, gemeinsam auf einer Decke in einer Wiese am Donaukanal Platz zu nehmen. Irgendwie kam er mir ausgelassener vor als sonst – und das lag sicher nicht nur an der Flasche Wein, die wir gemeinsam tranken. "Ich habe plötzlich Energien, von denen ich vorher nichts wusste", lachte er. "Das Unterdrücken und Geheimhalten dessen, was zu meiner Identität gehört, hat mich wohl ganz schön viel Kraft gekostet." Da kam mir die Idee, diesen Text zu schreiben. Helmut fand sie gut. Er möchte gerne anderen Mut zusprechen, anzufangen, sich selbst zu leben – vor allem den "älteren Semestern", wie er sagte. "Es ist nie zu spät. Im Gegenteil – …".

 

[1] Alle Namen sowie genaues Alter und Umstände von der Verfasserin geändert.

[2] Lesbian, Gay, Bisexual, Trans*

Keine Diskussion!?

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Foto: Lubo Bechny

In den slowakischen Medien zieht gerade der Fall eines jungen Theologen die Aufmerksamkeit auf sich, dessen Dienstvertrag in der Lutherischen Kirche nicht verlängert wurde, weil er in seinem Verständnis von Ehe keinen Unterschied zwischen heterosexuellen und homosexuellen Partnerschaften macht.

"Ein lutherischer Pfarrer wird gekündigt wegen seiner Meinung zur Ehe. Es gibt keine Diskussion über LGBT in der Kirche", titelte die slowakische Tageszeitung Denník N [The N Daily Newspaper][1]. Die Autorin Ria Gehrerová führt in dem Artikel vom 11.08.2016 ein Interview mit dem 26-jährigen Theologen Jakub Pavlús, dessen Dienstverhältnis in der Evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnis (A.B.) vorzeitig beendet wurde, da er seine persönliche Meinung zur Ehe äußerte.

Blicken wir ins Jahr 2015: Im Frühjahr gab es in der Slowakei ein Referendum gegen die Gleichberechtigung von homosexuellen Menschen, angeführt von der sog. "Allianz für die Familie", einer Initiative, in der sich sowohl Nicht-Konfessionelle als auch katholische und evangelische Homosexuellen-Gegner_innen tummelten. Die meisten Kirchen riefen durch ihre offiziellen Stellungnahmen zur Teilnahme am Referendum auf. Die evangelischen Bischöfe taten so durch einen Hirtenbrief, der am 25. 12. 2014 in den Kirchen verlesen wurde.

Die Beteiligung an diesem Volksentscheid war aber mit 21 Prozent gering, darunter stimmten allerdings ca. 90 Prozent gegen eine Gleichberechtigung von Homosexuellen. Das Referendum zielte darauf ab, die eh schon geringen bzw. nicht vorhandenen Rechte für lesbisch oder schwul lebende Menschen weiter zu beschneiden. Das Referendum scheiterte an der geringen Wahlbeteiligung. Der Boykott des Referendums war eine Möglichkeit gegen die Suggestivfragen, die sich gegen Ehe und Adoption für homosexuelle Paare sowie gegen Sexualkundeunterricht in Schulen richteten, zu protestieren.

Der junge Vikar Jakub Pavlús gehörte zu den Theolog_innen, die vor dem Referendum 2015 eine Stellungnahme unterzeichneten und veröffentlichten. Diese beinhaltete den Wunsch nach einer friedlichen gesellschaftlichen Diskussion mit Expert_innen, anstatt Entscheidungen über das Thema in einem Referendum, zumal in aufgeheizter Stimmung, zu treffen. Außerdem hatte die Gruppe der kritischen Theolog_innen darauf hingewiesen, dass die Art und Weise wie die Kirchen in die Sache involviert waren, zu überdenken sei. Alle Unterzeichner_innen waren in Folge der Stellungnahme zu einer Vorsprache vor der Bischofskonferenz geladen und zu ihrer Meinung bezüglich der Ehe befragt worden. Pavlús hatte also im Oktober 2015 wiederholt, was er mitunterzeichnet hatte. Seine Meinung war und ist eine andere als die der Bischöfe, sagte er im Interview mit der slowakischen Tageszeitung Denník N.

Die Lutherische Kirche (Evangelische Kirche Augsburger Bekenntnis, EKAB) der Slowakei verweigerte dem Nachwuchspfarrer, der jüngst Vater von Zwillingen geworden ist, nun die Verlängerung seines Dienstvertrages. In einem erneuten Vorsprechen im August 2016, welches nur die (sonst übliche) Verlängerung seines Dienstverhältnisses betraf, wurde er über sein Eheverständnis ausgefragt. Die Bischöfe wollten seine persönliche Meinung, seine Definition von Ehe wissen. Er antwortete, dass die Ehe für ihn eine Verbindung sei, die aus freier Entscheidung und dem Willen zu lebenslanger gegenseitiger Zusage und Liebe zwischen zwei erwachsenen Personen geschlossen wird. Auf die Frage hin, ob Pavlús darauf bestünde, dass die zwei beteiligten Personen verschiedenen Geschlechts sein müssten, antwortete er mit Nein – solange es hier um seine private Meinung ginge, die die staatliche Gesetzgebung beträfe. Weitere – beispielsweise theologische, kirchenpolitische Fragen, sowie andere mögliche Fragen, die seine Eignung als Pfarrer beträfen – wurden dem Vikar nicht gestellt. Offensichtlich diskredierte ihn seine Haltung zur wohlbemerkt staatlichen Ehe vom Beruf des Pfarrers. Von einer kirchlichen Trauung war übrigens nicht einmal die Rede.

"Es gibt kein kirchliches Gesetz, das Pfarrer_innen verbietet, eine private Meinung zu haben. Ich habe nie ein kirchliches Gesetz angefochten, das sich auf die Ehe bezieht", erklärt Pavlús im Interview mit Ria Gehrerová.

Jakub Pavlús hatte sich in seiner Theologie-Masterthesis mit einem LGB-Thema befasst: Es ging um Stellungnahmen der lutherischen Kirchen weltweit zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Der Professor, der diese Abschlussarbeit betreut hatte, war nicht unbedingt der gleichen Meinung wie Pavlús gewesen, eher konservativer. Trotzdem hatten vernünftige und unaufgeregte Diskussionen zwischen Dozent und Student stattgefunden, die konstruktiv und lösungsorientiert waren und der Vergabe der Bestnote auf diese Arbeit nicht im Weg standen.

Pavlús habe selbst erlebt, wie sich seine Haltung während seiner Forschungen zum Thema modifiziert haben: Vorher war er eher skeptisch einer offenen Haltung gegenüber lesbischen und schwulen Partnerschaften gewesen, doch die Argumente der progressiven Kirchen haben ihn überzeugt.

Die Lutherische Kirche in der Slowakei gehört allerdings offenkundig nicht zu diesen Kirchen. Das Thema Homosexualität werde eher gemieden als diskutiert, so Pavlús. Obwohl es in der Welt sehr wohl ein Thema von Relevanz ist.

Gegen die Nicht-Verlängerung seines Vetrages, die einer Kündigung gleichkommt, ist kein Einspruch möglich. 14 Dozent_innen und Doktorand_innen der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Comenius-Universität in Bratislava, darunter Dr. Ondrej Prostredník, der sich immer wieder wissenschaftlich wie gesellschaftspolitisch zu LGBT-Themen in der Slowakei äußert, schrieben einen offenen Brief an das Bischofskollegium und den Kirchenvorstand der EKAB, in dem sie sich mit Pavlús solidarisch erklärten und ihre Bestürzung über den Fall kundtaten.

Die unterzeichnenden Theolog_innen prangern die Vorgehensweise und die Begründung der "Entlassung" des Vikars an. Sie argumentieren, dass innerhalb der evangelischen Kirchen "die eigene Position zur Ehe nicht den sogenannten ‚status confessionis' zugeschrieben werde, somit handele es sich nicht um eine Erlösungsfrage bzw. um keine Frage, bei welcher die verträglichen Grenzen der Meinungsvielfalt in der Kirche nicht überschritten werden können". Dabei berufen sie sich auf den Lutherischen Weltbund (Ehe, Familie und menschliche Sexualität. Lund, März 2007, S. 7).

Sie fordern eindringlich, dass die Stellungnahme des Bischofskollegiums bezüglich des "Falls" Pavlús anders bewertet wird und ihm ein weiteres Arbeitsverhältnis in der slowakischen EKAB angeboten wird. Außerdem schreiben sie deutlich und scharf in dem Brief: "[…] Wir verlangen von Ihnen, dass Sie in der Kirche eine Atmosphäre der Freiheit und des Vertrauens schaffen, in der es möglich ist, offen über verschiedene Positionen und Meinungen zur Ehe und Familie im Geist des Reformationsprinzips zu diskutieren, dass die Kirche 'semper reformanda' (immer zu reformieren) ist – vor allem im Vorbereitungsjahr für das 500-jährige Reformationsjubiläum." Aber es gibt keine Diskussion.

In der Slowakei ist weder die Ehe noch eine Art eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle möglich. Seit 2014 gibt es ein verfassungsrechtliches Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe, wie in einigen anderen osteuropäischen Ländern. Die Regierungsparteien sorgten vor: Dieses Verbot wurde "im stillen Kämmerlein" durchgesetzt – in slowakischer Kirche und Staat diskutiert man offensichtlich nicht gerne, vielleicht weil man weiß, dass Gemeindemitglieder und Volk durchaus anderer Meinung sein könnten?

Jakub Pavlús hat sich, heterosexuell lebend, als "Ally" (Verbündeter) für die Gleichberechtigung homosexuell Lebender ausgesprochen, seinen Job riskiert – und verloren. Ich ziehe meinen Hut. Auch der offene Brief ist eine widerständige Solidaritätshandlung. In einem Land, dessen Regierung die Rechte Homosexueller mehr und mehr mit Füßen tritt, in einer Kirche, die einen ihrer Nachwuchspfarrer – übrigens eher händeringend gesucht als im Überfluss vorhanden – entlässt, weil er sich, nach sozialer Gerechtigkeit strebend, auf leisen Sohlen für die Gleichberechtigung von schwulLesBischen Lebensformen einsetzt, ist das Unterzeichnen eines solchen Schreibens weder selbstverständlich noch unbedingt zuträglich für die eigene (theologische) Karriere. Wer wird als Nächste_r zur Vorsprache vor den Bischöfen vorgeladen? Wem wird als nächstes ein Dienstverhältnis verweigert oder gekündigt?

Gemeindemitglieder in Turany verabschieden sich von Jakub Pavlús
Jakub Pavlús ist auf jeden Fall erst einmal arbeitslos. Ob er in seiner Kirche wieder eingestellt wird, ist fraglich. Seine Gemeinde in Turany würde ihn schon gerne behalten. Aber sie hat keinen Einfluss auf die Entscheidung des obersten Bischofs. Vielleicht zieht Pavlús mit seiner Ehefrau und seinen Kindern vorerst zu seinen Eltern nach Myjava.

Die Hoffnung auf Veränderung hat Pavlús nicht aufgegeben: Viele Kirchenmitglieder haben ihm im Privaten gesagt, dass sie ihm zustimmen. Unter den slowakischen Kirchen schreite die altkatholische Gemeinde in Bratislava als Vorbild in Sachen Segnungen von gleichgeschlechtlichen Paaren voran. Ist es wirklich so abwegig, sich als evangelische (!) Kirche dem anzuschließen? Aber diese rhetorische Frage geht genauso an Kirchen und Gemeinden in Ländern, wo es staatlicherseits immerhin wenigstens eine eingetragene Partnerschaft gibt, exempli gratia Österreich und Deutschland.

 

[Vielen Dank an Ondrej Prostdredník und alle anderen Beteiligten für die Übersetzungen ins Englische und Deutsche.]

 

[1] Gehrerová, Ria, 'Evanjelický kňaz v práci skončil za názor na manželstvo: V cirkvi sa o LGBT nediskutuje [A Lutheran Minister was Fired for his Opinion on Marriage: There is no Discussion on LGBT in the Church.]', Denník N  [The N Daily Newspaper] [website], https://dennikn.sk/534094/evanjelicky-knaz-v-praci-skoncil-za-nazor-na-manzelstvo-v-cirkvi-sa-o-lgbt-nediskutuje/?ref=mpm

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